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Warum Sozialdemokraten auf Antifa-Parolen lieber verzichten sollten

Es gibt viele gute Gründe, das Ende des rechtspopulistischen und rechtsextremen Spektakels der AfD in bundesdeutschen Parlamenten herbeizusehnen – von Jagd-Aufrufen über 180-Grad-Drehungen in der bundesdeutschen Holocaust-Erinnerung, Vogelschiss-Reden bis hin zu den kalkulierten Entgleisungen der AfD-Gäste am vergangenen Mittwoch im Bundestagsgebäude. Die Verächtlichmachung des Parlaments im Parlament hat eine rote Linie überschritten.
Doch zwei Gründe sind mir besonders wichtig.

Erstens hat die Bundesrepublik ein Extremismusproblem mit drei Gesichtern, die einander beharrlich zu überzeichnen suchen. Mit Björn Höcke und seinem “Flügel” sind die neonationalsozialistischen Anspielungen und leicht zu entschlüsselnden Codes im ganzen Land hörbarer geworden. Weil der “Flügel” Wahlerfolge im Osten erzielt, hat ihn die AfD-Führung zwar lahmgelegt, aber nicht gekappt. Im Thüringer Landtag wurde die Höcke-AfD letztes Jahr zweitstärkste Kraft. Vor ihr liegt nur die SED/PDS/LINKE. Das sollte Sozialdemokraten zur Frage veranlassen, weshalb zwei Parteien, deren Ideologien in Deutschland, wenn auch nicht in vergleichbar mörderischer Weise, so doch unzweifelhaft Diktaturgeschichte geschrieben haben, für Wähler so attraktiv sind. Parolen und Phrasen wie die vom Kampf gegen Rechts und vom Antifaschismus werden in der Öffentlichkeit als das wahrgenommen, was sie sind: verzweifelte Ersatzhandlungen einer Sozialdemokratie, die keine guten Vorschläge zur Lösung dringender Probleme anzubieten hat. Die unglaubwürdige, floskelhafte Daueragitation gegen einen offenkundig nicht begriffenen Faschismus ist außer hilflos auch erschreckend. In Deutschland heißt das historische Erbe Nationalsozialismus. Es war ungleich mörderischer als die weltweiten faschistischen Bewegungen. Den Unterschied zwischen deutschem Nationalsozialismus und italienischem, spanischem, rumänischem, ungarischem etc. Faschismus könnte die abgeschaffte parteieigene Historikerkommission den Genossinnen und Genossen recht rasch erklären. Er ist seit Jahrzehnten gesicherter Lehrinhalt höherer Bildungseinrichtungen. Die Nationalsozialisten hatten die Weimarer Demokratie in andauernder Rivalität mit den Kommunisten zerstört, die Sozialdemokraten als “Sozialfaschisten” bekämpften. Nach 1945 kam es in der sowjetischen Besatzungszone zur Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED. Sozialdemokraten wurden in der DDR  zum neuen Feind  und galten als Rechte. Dass radikale Teile der westlichen Neuen Linken in der alten Bundesrepublik – ganz wie die SED – eine Inkarnation des neuen Faschismus am Werk sah, sollte der extrem politisierten 68er Generation noch erinnerlich sein. Auch dass die Radikalinskis unter ihren Vertretern die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt und Helmut Schmidt trotz Entspannungspolitik als “faschistisches System” diffamierten. Obgleich selbst kein 68er, dürfte der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow dieser ungenießbaren ideologischen Melange seine politische Sozialisation verdankt haben. Als Faschisten bezeichnete man in der DDR-Propaganda, wo man den Begriff “Nationalsozialismus” mied, vom abgefallenen Altkommunisten über westliche Politiker bis hin zu Oppositionellen aller Coleur so ziemlich alle, die nicht stramm auf den von der SED jeweils vorgegebenen Wegen wandelten. Heute erfüllt der Begriff “Rechte” schon fast eine vergleichbare Funktion. Kurzum, was genau die heutigen Sozialdemokraten unter Faschismus und Rechten verstehen und wen und was genau sie im Blick haben und wen oder was nicht, dürfte den Wählern noch unklarer sein als den Genossinnen und Genossen selbst! Die AfD so klein als möglich zu halten, gelingt nur, wenn man zugleich den politischen Islam und den Linksradikalismus in die Schranken weist.

Zweitens ist der Strukturwandel der Arbeitswelt ein Kernthema der SPD, das sie bearbeiten muss, will sie wieder Wahlerfolge erzielen. Digitalisierung haben alle Parteien im Programm. Mit ihr allein, so unausweichlich sie ist, werden sich Probleme nicht lösen lassen. Digitalisierung ist ein Werkzeug, weder ein Selbstzweck noch ein Wert an sich. Sie hilft bei der Kommunikation, Organisation, bei der Verarbeitung und Auswertung, kurzum bei der Bewältigung von Daten, bei der Steuerung und Automatisierung von Arbeitsabläufen. Computer rechnen, aber sie denken nicht! Überall dort, wo man Arbeitsabläufe automatisieren kann, werden in absehbarer Zeit Roboter menschliche Arbeitskraft ersetzen. Die Industriearbeitsplätze, die jetzt noch ganze Regionen ernähren und prosperieren lassen, werden bald verschwinden. Umweltschutz und Klimawandel müssen sozial verträglich gestaltet werden. Auf unsere westlichen Gesellschaften kommen ungeheure soziale Probleme zu. Wollen sie das Feld nicht den Populisten rechter oder linker Coleur überlassen, müssen Sozialdemokraten jetzt gescheite Antworten auf immer akuter werdende Fragen finden. Menschen müssen eine Wohnung, Heiz- und Stromkosten, Gesundheitsversorgung und eine möglichst gute Ausbildung ihrer Kinder bezahlen können. Das interessiert Wähler gleich welchen Geschlechts, welcher Herkunft, welcher Religion, welcher Haut- oder Haarfarbe etc.pp Zugleich gibt es “analoge” Jobs, die weder hohes Prestige genießen noch gut bezahlt werden, aber “systemrelevant” sind: Wie man Pflege- oder Erziehungsarbeit aufwerten und besser entlohnen kann, sollte entschieden werden. Arbeiten wie diese werden Roboter nie leisten und doch berühren sie fast alle Menschen irgendwann in ihrem Leben. Das betrifft im Übrigen auch die Bildungsarbeit auf allen Ebenen, allen voran Historiker, Politologen, Sprachwissenschaftler, Philosophen, Literatur- und Kulturwissenschaftler etc., die Geisteswissenschaften schlechthin, die verbindliche Standards ihrer Disziplinen zu entwickeln haben, um die Ideologie der “Jammer- und Beschwerdestudien” künftig auszuhebeln.