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Zirkuspantomimen

(Die nachfolgenden Einträge dokumentieren meinen Vortrag an der Philipps-Universität Marburg im November 2016)

Alfred Döblin publizierte im April 1910 unter dem Titel „Zirkuspantomime“ in der Kunst- und Kulturzeitschrift „Der Sturm“ eine Kritik des neuesten Manegeschaustücks „Marja“ des Circus Busch. Es war die Hochzeit des frühen Stummfilms und der Anfang vom Ende der großen Zirkuspantomimen, eines Genres, das auszusterben begann. Ihr Merkmal war das kalkulierte Zusammenspiel von Dressur, Akrobatik und Posse, von Mensch und Tier. Das unterschied Zirkuspantomimen ästhetisch von anderen theatralen Formen der darstellenden Künste auf Bühne und Leinwand. Im Vordergrund stand die Körpersprache – die als kodifizierte, das heißt konventionalisierte Ausdrucksform auf Sprache als Bezeichnungspraxis angewiesen blieb – und damit das visuelle, nonverbale Vokabular aus Posen, Gesten, Mimik. Es ging in erster Linie um ein Schauereignis. Spezifik, Charakteristik und Geschichte von Zirkuspantomimen von Philip Astley bis zu den Buschs sind Thema der nächsten Blogbeiträge.

Zuvor erlaube ich mir einige Bemerkungen zum Verhältnis von Zirkus und Wissenschaft. Wer sich dem Medium Zirkus wissenschaftlich zuwendet, ist auf empirische Kenntnisse und theoretisches Handwerk angewiesen. Zirkus ist ein Medium der darstellenden Künste und als solches von anderen Medien innerhalb dieses Spektrums unterschieden. Durch die Arbeit mit Tieren als zentralen Akteuren und durch das Gewicht der Akrobatik hob sich Zirkus seit dem 18. Jahrhundert nicht nur von anderen Unterhaltungskünsten ab, sondern bietet bzw. erzwingt geradezu die Teilhabe verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen bei der Erforschung des Mediums.
Ob wer theoretisch fundiert argumentiert, zeigt sich daran, ob und wie ein relevantes Phänomen, das heißt Empirie, erfasst wurde und erklärt werden konnte. Das beginnt bei der Kontur des Forschungsgegenstands. Hier kann eine Wissenschaft vom Zirkus interdisziplinär in Zukunft sehr viel leisten.

Worin besteht die Besonderheit des Mediums Zirkus? Der moderne Zirkus verräumlicht und inszeniert die Beziehung zwischen Mensch und Tier. Hier beziehen sich Nummern und Akteure aufeinander. Diese spezielle Dramaturgie unterscheidet das kulturhistorische Phänomen und Medium ‚Zirkus‘ von benachbarten Medien wie Varietés oder Menagerien. Folglich trifft die bloße Erscheinung von Kunstreiterei und Seiltanz, die Schaustellung von domestizierten oder ‚wilden‘ Tieren usw. nicht das Spezifische des Mediums ‚Zirkus‘, das weder einzelne Erscheinungen noch ihre Abfolge, sondern ihren Zusammenhang – eben nicht die bloße ‚Einheit einer Vielfalt‘ wie im Varieté – und ihr internes Aufeinanderbezogensein in einem speziell dafür geschaffenen Raum bezeichnet. Während sich Tiere scheinbar wie Menschen verhalten, Pferde Rechenaufgaben lösen, Esel Arien singen oder Schweine Zeitung lesen, vollbringen Menschen Akte, die Tieren vorbehalten sind, fliegen wie Vögel durch die Luft, schwingen wie Affen von Ast zu Ast oder biegen sich wie Schlangen. Und während sich die Löwen wie wohlerzogene Kinder am Teetisch ausnehmen, leben die Clowns ihre Bösartigkeiten und Dummheiten ungebremst aus. Im Zirkus ahmen alle einander nach und ähneln sich einander an. Mit dem Clown, der keine originäre Zirkusfigur, sondern den Theaterbühnen entlehnt ist, persifliert sich das Medium selbst. Eine bestimmte Vorstellung des Menschen vom Menschen wurde im modernen Zirkus zugleich unablässig in Frage gestellt und bestätigt. Die Frage, was der Mensch sei, ob und wie er sich vom Tier unterscheidet, stand im Zirkus fast 200 Jahre lang zur Disposition. Der moderne Zirkus war anfänglich ein reines Großstadtphänomen und band als massenkulturelle Instanz sämtliche soziale Milieus und Altersgruppen.

 

Ich finde es problematisch, den Zirkus als ‚Medium‘ zu bezeichnen; wäre alternativ (auch im weiteren Verlauf) ‚kulturelles Phänomen‘ o.ä. möglich? Sonst bitte den Medienbegriff erläutern und reflektieren!

 

‚theoretisch‘ und ‚Handwerk‘ beisst sich etwas; außerdem: welches?

 

Tempus?

 

Wir fänden es angebracht, dies hier wegzulassen, da das nicht zum Thema beiträgt.

 

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