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Afghanistan oder: Warum der Westen etwas, aber nicht alles ausrichten kann

Deutschland hat für den Weg in den Westen lange gebraucht. 1933 wurde die junge Demokratie von seinen Bürgern abgewählt. Auch wenn die NSDAP nie eine Mehrheit der Stimmen auf sich vereinte, so steuerten andere demokratiefeindliche rechte Parteien wie die Deutschnationalen (DNVP) ihren Teil bei und die junge Demokratie war passé. Man darf nicht unterschlagen, dass die Kommunisten Demokratie und Parlamentarismus während der Weimarer Republik ebenso energisch bekämpften wie die Rechten. Für Hitlers Machtantritt waren sie indes weder vonnöten noch im engeren Sinn verantwortlich (im weiteren schon, denn gegen eine breite prodemokratische und proparlamentarische Mehrheit in der Bevölkerung hätten sich die Nazis nicht durchsetzen können).

Was hat all das mit Afghanistan zu tun? Eine Menge. Stabile Demokratien gibt es auch in Westeuropa erst seit der zweiten Hälfte und in Mittel- und Osteuropa erst seit dem letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Gern wurde die antiwestliche Orientierung zuvor mit Geschichte, Kultur und im Osten mit der historischen Mission der Arbeiterklasse begründet. Heute bekämpft der politische Islam, die dritte, im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entstandene totalitäre Bewegung den Westen. Aktuell außer im Iran besonders in Afghanistan.

Und dort war die Bundeswehr bis eben im Einsatz wie ein sechsteiliges Feature des Journalisten Marc Thörner schon im Titel sagt. Der Deutschlandfunk hat es im Februar dieses Jahres ausgestrahlt. Wie viele Leser von Zeitungen und Hörer von Radiosendungen war ich deshalb wenig überrascht von der blitzschnellen Machtübernahme der Taliban in den letzten Wochen und Tagen. Über solche Informationen konnten und können alle Menschen in diesem Land verfügen. Politiker, die Entscheidungen über das treffen, was zu tun ist, wissen hoffentlich noch Näheres. Und nein, so manche indirekte Kommentierung des Autors trifft keineswegs meinen prowestlichen Nerv. Das ist nicht der Punkt. Es sind die vielsagenden O-Töne, die er einfängt, die einem schon eine Vorstellung davon vermitteln können, wie die Stimmung im Land ist, welche Mentalitäten aufeinandertreffen – und manchmal wohl aneinander abprallen -, wo die verschiedenen Angstzonen liegen und wo die Konfliktpotentiale lauern.

Da ist der ehemalige deutsche Bundeswehroberst, der sich viel darauf zugute hält, die Sprache des Landes zu kennen und eine Art Kumpelverhältnis – erinnert an Donald Trump – zu den lokalen Autoritäten zu unterhalten. Er redet sich und der Welt die Taliban schön – Kunststück, er wird nie in die Verlegenheit kommen, zwangsverheiratet, in seiner alltäglichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu werden oder sich verhüllen zu müssen. Der Mann, der sich anhört wie Judith Butler (Burka als Bollwerk gegen die westliche Kultur), hat bis heute nicht verstanden, dass der Westen weder die Heilsarmee noch dafür verantwortlich ist, sämtliche Massaker dieser Welt zu verhindern, indem er vorher dagegen militärisch einschreitet. Den Westen moralisch daran zu messen, dass er weder das Besteigen seeuntauglicher Flüchtlingsboote noch sämtliche Massaker dieser Welt zu unterbinden vermag, verrät jene merkwürdige Mischung aus Häme und Aggression, die hierzulande aus rechten wie aus linken Milieus gut bekannt ist. Dass die Amerikaner erst nach 9/11 in Afghanistan einmarschierten, hat allerdings weniger damit zu tun, dass sie Menschenleben ungleich gewichten würden, als vielmehr damit, dass sie für den Schutz des Lebens ihrer Staatsbürger unmittelbar und direkt verantwortlich sind.

Dann ist da der pakistanische Militär, der Adolf Hitler ausdrücklich lobt und bewundert, weil er dafür gesorgt habe, dass sich Deutschland Amerika nicht beugt. Angeblich hätten die Deutschen einmal die Welt beherrscht usw. Nun war das zwar der Wunschtraum vieler Deutscher um 1900 und auch Adolf Hitlers und der Nazis. Realität aber ist das glücklicherweise nie geworden. Nazi-Deutschland hatte den Zweiten Weltkrieg militärisch nach nur zwei Jahren unwiderruflich verloren, auch wenn es bis heute Deutsche geben mag, die diese nüchterne Einsicht abwehren. Da die Bewunderung für Hitler in der islamischen Welt kein neues Phänomen ist und viel über das Weltbeherrschungsbedürfnis und den Hass auf den Westen unter Islamisten sagt, wäre es falsch, solche Äußerungen als persönliche Marotte im Offiziersmilieu “außereuropäischer” Kulturen abzutun oder für eine bloße, leicht zu behebende Bildungslücke zu halten. Aufmerksame Zeitgenossen erinnern sich daran, wo und wie Osama bin Laden dingfest gemacht worden ist: in Pakistan und dies nicht – zumindest nicht offiziell – mit Hilfe pakistanischer Sicherheitskräfte.

Gewiss, der Rückzug der Amerikaner aus Afghanistan, der Deal Donald Trumps mit den Taliban und die denkwürdige amerikanische Außenpolitik der letzten zehn Jahre irritieren. Doch lässt sich Afghanistan nur demokratisieren, wenn maßgebliche Teile der Bevölkerung das ins Werk setzen. Mit westlicher Hilfe, aber wesentlich durch Afghaninnen und Afghanen.