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Liebe, Hass und Empathie als Gefühlskulturen der deutschen Moderne

Im Dezember 2013 schrieb ich eine Kurzdarstellung meines Habilitationsprojekts für das Zentrum Jüdische Studien Berlin/Brandenburg. Da diese Kurzfassung von damals inzwischen von der homepage des Zentrums genommen wurde, ich aber das eine oder andere Mal danach gefragt werde, stelle ich sie hier auf meinen blog mit der ausdrücklichen Botschaft, dass ich unermüdlich an der Fertigstellung der Habil bei Monika Schwarz-Friesel arbeite:

Liebe, Hass und Empathie – Judenfeindschaft und Orientalismus als Gefühlskulturen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart  

Ziel des Projekts ist eine sowohl komparative als auch kontrastive Emotionsgeschichte der Phänomene Orientalismus und Judenfeindschaft in der deutschsprachigen Moderne. „Mr. Morgenthau“, sagt der jungtürkische Kriegsminister Enver Pascha in Franz Werfels Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ (1933) zu Johannes Lepsius „ist Jude. Und die Juden stehen immer fanatisch auf Seiten der Minderheit.“ Wie Lepsius, deutscher Christ und Orientalist, so hatte auch der US-Botschafter Henry Morgenthau den Genozid an den Armeniern im Ersten Weltkrieg dokumentiert. Empathie als Faktor der Parteinahme zog Werfels Enver-Figur nicht in Betracht. Denn reguliert werden Gefühle wie Hass, Liebe, Ekel, Zorn u. a. durch kollidierende oder konvergierende In- und Out-Group-Perspektiven entlang relevanter Ordnungsmuster wie Rasse, Religion, Nation, Geschlecht, Generation, Milieu, Orient/Okzident. Werfel reproduzierte und reflektierte sie zugleich. Dies erzeugte in komplexen settings und Konfigurationen die verdoppelte Perspektive eines Orientalismus der Darstellung und eines dargestellten Orientalismus, dessen Vorurteilsstrukturen so zum Sujet wurden. Populär war der Armenier-Roman unter verfolgten Juden im besetzten Polen, die eine Parallele zur NS-Ausrottungspolitik zogen. Völkisch-antisemitische Kreise der Zwischenkriegszeit hatten die jungtürkische Minderheitenpolitik immerhin begrüßt. Werfels Erzählung „Eine blassblaue Frauenhandschrift“ (1941) prononcierte später auch den zeitgenössischen Judenhass. Während Orientalismus über Hypergeneralisierung funktioniert und auf Hegemonie zielt, so die Hauptthese, beruht Judenfeindschaft darüber hinaus auf pathisch-projektiven Strukturen mit Vernichtungsoption, die in der beispiellosen Shoah gipfelte. Um die „emotionelle Infrastruktur“ (Jean Améry) und die Besonderheiten beider Phänomene zu konturieren, ist partiell ein verflechtender und paralleler Ansatz u. a. für Schnittstellen wie Rassismus, Xenophobie und Othering vonnöten. Beide Phänomene werden in ihrer jeweils kulturhistorischen und aktuellen Spezifik, Signifikanz, Validität und Wandelbarkeit analysiert. Das erfordert den Rekurs auf ihre Kontexte, faktischen Bezüge und benachbarten Repräsentationen (u. a. Malerei, Fotografie, Musik, Film, Clips), die entweder zu Orientalismus und Judenfeindschaft zählen oder sie ästhetisch reflektieren. Von Gotthold E. Lessings „Die Juden“ (1749) und „Nathan der Weise“ (1779) führt das Projekt über Heinrich Heines Reconquista-Drama „Almansor“ (1820), das die historische Vertreibung der Muslime aus Spanien thematisiert, bis hin zu Emine S. Özdamars Zyklus „Sonne auf halbem Weg“ (2006), Güner Balcis „Arabboy“ (2008), rechts- und linksextremen Plakaten, Karikaturen in Tageszeitungen, Bushidos antiisraelischem Twitter-Logo „Free palestine“ und Günter Grass’ Gedicht „Was gesagt werden muss“ (2012). Methodisches Verfahren ist der New Historicism.