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Warum Ferda Ataman eine Aktivistin ist, ahmad Mansour aber ein Experte

Gewöhnlich lese ich keine rechtskonservativen Blogs wie “Tichys Einblick”. Der Beitrag ist mir zugesandt worden und da er unerlässlich für meine Argumentation ist, verlinke ich ihn ausnahmsweise hier https://www.tichyseinblick.de/meinungen/das-netzwerk-der-islam-propaganda-um-ferda-ataman/ Ein zweiter, mir ebenfalls zugemailter Beitrag erschien dieser Tage in der FAZ und ist eine nicht nur billige, sondern auch unsachliche Retourkutsche auf den oben verlinkten Blogbeitrag und voller Übergriffe, falscher Behauptungen und handfester Verzerrungen https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/aktivismus-die-sozialen-medien-sind-der-brandbeschleuniger-18202675.html. Beide Beiträge firmieren unter der Rubrik “Meinung”. Für den ersten Beitrag stimmt das nicht, denn er wartet mit Fakten und Belegen auf und ähnelt eher einer Reportage. Der zweite Beitrag ist faktenfreie Polemik und versucht der Leserschaft einerseits weiszumachen, dass Ferda Ataman, die kürzlich knapp zur Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes gewählt worden ist, keine Aktivistin sei, und dass andererseits Aktivismus nötig für gesellschaftlichen Fortschritt wäre. Beides ist falsch.

Anders als Ferda Ataman arbeitet Ahmad Mansour genau mit jenem Klientel, das in der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt/Main nie aufschlagen würde, weil es für diese Art von Bildungs- und Sozialarbeit völlig unempfänglich ist und Cafés, Clubs, Strandbäder oder Kaufhäuser lieber auseinandernimmt statt sie mit anderen zu teilen. Mansour entwickelt nicht nur brauchbare, weil wirklichkeitserprobte Konzepte für das Zusammenleben in einer Einwanderungsgesellschaft, sondern setzt sich auch mit ihren Problemen und den falschen Antworten darauf auseinander. In der Regel argumentiert er sachlich, mit Fakten und viel Empirie. Deshalb kann man ihn als Experten bezeichnen. Im Unterschied dazu delegitimiert Ferda Ataman die Kritiker ihrer Identitätspolitik und unter ihnen in erster Linie Menschen, die wie sie eine Einwanderungsgeschichte haben. Das ist übrigens logisch, denn gerade sie stellen eine personelle Alternative zu ihr da, weshalb sie diese als unliebsame Konkurrenz um Aufmerksamkeit und Fördergelder wegzubeißen sucht. Atamans Vorgehen ist genau das, was im FAZ-Beitrag in Abrede gestellt wird: “unprofessionell”, “aggressiv” und – weil Identitätspolitik und Multikulturalismus das im Unterschied zu transkulturellen Konzepten nun einmal sind – zutiefst “ideologisch”. Von den vielen Kritikern an der Personalie Ferda Ataman mit Migrationsgeschichte kam kein einziger in den öffentlich-rechtlichen Medien zu Wort oder wurde zitiert. Deshalb verlinke ich die Beiträge hier: Offener Brief der Migranten für Säkularität mit vielen Unterschriften von Fachleuten wie Güner Balci, Lale Akgün, Necla Kelek, Ali Ertan Toprak https://hpd.de/artikel/kritik-an-ferda-ataman-20475, Ahmad Mansour https://www.focus.de/politik/deutschland/kolumne-von-ahmad-mansour-ferda-ataman-das-abstruse-weltbild-unserer-neuen-anti-hass-beauftragten_id_107972725.html, Seyran Ates https://www.welt.de/politik/deutschland/video239775325/Seyran-Ates-ueber-Ferda-Ataman-Sie-ist-eine-sehr-auf-Diskriminierung-ausgerichtete-Person.html, Massud Reza https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/auch-muslime-lehnen-ferda-ataman-ab-sie-ist-blind-fuer-nicht-weissen-rassismus-li.237503, Lale Akgün https://www.welt.de/politik/deutschland/plus239544613/Lale-Akguen-ueber-Ferda-Ataman-Jemand-der-nur-nach-Applaus-von-einer-Seite-heischt.html oder Ahmad Omeirate https://www.tagesspiegel.de/berlin/kritik-an-ferda-ataman-die-regierung-darf-die-bedenken-vieler-migranten-nicht-ignorieren/28476202.html. So viel dazu. Übrigens ist das Mobben anderer Migranten nicht sonderlich originell. Man erlebt das seit dem Offenen Brief “Gerechtigkeit für die Muslime” gegen Necla Kelek aus dem Jahr 2006. Und man kennt das aus klassischen Einwanderungsländern wie den USA, Kanada, Großbritannien und Frankreich, wo Feministinnen wie “Ni putes ni soumises” https://de.wikipedia.org/wiki/Ni_Putes_Ni_Soumises schon mal als “rechts” denunziert werden. Der FAZ-Beitrag mag moderater erscheinen, doch läuft er im Duktus auf die Denunziation von Einzelpersonen darauf hinaus.

Zum zweiten Punkt: Steht Aktivismus am Beginn jeder “fortschrittlichen” Errungenschaft? Nein. Feministinnen wie Hedwig Dohm oder Virginia Woolf waren keine Aktivistinnen, aber gerade ihre Texte haben die Frauenbewegung mitgeprägt. Das Wahlrecht für Frauen haben nicht die Suffragetten durchgesetzt. Es war zum einen die kriegsbedingte Aufwertung von Frauen, die all die Berufe und  Aufgaben stemmen mussten, die bis dahin von Männern ausgeübt und erledigt worden waren, und es waren zum anderen die sachlichen Argumente nichtaktivistischer, aber engagierter Frauen, zu denen heute übrigens Necla Kelek, Seyran Ates, Lale Akgün oder Güner Balci zählen würden, die damals die überwiegend männlichen Verfasser von Gesetzen überzeugten. Unser Grundgesetz haben Elisabeth Selbert, Friederike Nadig (beide SPD), Helene Weber (CDU) und Helene Wessel (Zentrum) mitverfasst, zwei sozialdemokratische und zwei konservative Frauen, mitnichten Aktivistinnen und weltanschaulich keineswegs das, was die Autoren des FAZ-Beitrags als “fortschrittlich” = “progressiv” durchgehen lassen würden. Die Behauptung, Aktivistinnen hätten das Frauenwahlrecht durchgesetzt, weshalb es nötig wäre, um des Fortschritts Willen aktivistisch zu sein, haben die Autoren des FAZ-Beitrags übrigens nicht erfunden. Dieser Mumpitz geistert durch die woke Welt der Halbgebildeten-Blase seit die Debatte um Ataman Fahrt aufnahm. Die falsche Analogie hat überdies noch einen zweiten sinnfälligen Haken: So wie es in der Zweiten Frauenbewegung der 1970er Jahre nicht darum ging, Frauen die rechtliche Gleichstellung zu erkämpfen, denn die hatten sie längst, so geht es nicht darum deutschen Staatsbürgern mit Migrationsgeschichte die gleichen Rechte zu erkämpfen, denn die haben sie ebenfalls längst! Es geht darum, Gleichbehandlung durchzusetzen! Und um das zu erreichen, muss man sich von der Illusion verabschieden, dass man nur Diskriminierung und Rassismus schreien braucht, damit man – denn darum geht es Ferda Ataman – bevorzugt wird. Das entspricht spiegelbildlich der AfD-Vorstellung, dass man deutsche Staatsbürger ohne Einwanderungsgeschichte bevorzugen müsste und könnte. Apropos AfD: Dass Hamed Abdel-Samad im Nahverhältnis zu Rechtspopulisten stünde, ist eine dreiste Lüge und jene Art von dirty talk, der für beinharte – und ja: furchtbar aggressive – Ideologen so typisch ist. Abdel-Samad trat meines Wissens ein einziges Mal auf Einladung um 2014/15 herum bei der AfD auf und kritisierte sie dabei heftig.

Und weil das Wort “Demokratie” einen so merkwürdigen Zauber auf Antidemokraten ausübt: Es sind gerade die “Progressiven”, die faktischen Reaktionäre, die mit ihrer verfassungsfeindlichen Identitätspolitik und ihrer engen Verbundenheit zum politischen Islam die liberale Demokratie gefährden.