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Bastei-Lübbe für Akademiker

Schlechte Bücher gab es immer mehr als gute. Auf den Theaterbühnen der Goethezeit spielte man nicht den “Tasso”, sondern Stücke von Iffland und Kotzebue. Damals las außer Heine, den Schlegels und wenigen anderen kein Mensch Goethes Prosa.
Nichts Neues und nichts Außergewöhnliches also, dass heute viel gedruckt, verschlungen und verbraten wird, das die Jetztzeit nicht nennenswert überlebt. Egal, ob es preisgekrönt und angepriesen wird oder nicht. Dagegen ist nichts einzuwenden.
Allerdings wundert mich manchmal, dass man hierzulande als Literatur, Essay oder Kunst durchwinkt, was offensichtlich nur hingekliert ist.
Literarisch ist ein Text nur dann, wenn er mehrere, mindestens aber zwei Böden besitzt. Wenn ich mein Leben in sieben Büchern oder dieses und jenes aufschreibe, das mir begegnet ist, habe ich keine “Recherche” verbrochen, keinen Blooms-Day verfasst und keine Musilsche Epochensatire zustande gebracht. Essaistische Passagen, die sich ästhetisch mit den damaligen Innovationen befassten, hatten, ganz gleich, ob ironisch-sarkastisch, oder hyperbolisch überzogen, immer einen Erkenntnisgewinn, der mit der sprachlichen Verarbeitung des Figurenensembles korrespondierte. Man findet diesen Grad an gedanklicher Verarbeitung im gesamten Höhenkamm, den Autorinnen und Autoren weltweit bis heute erklimmen. Selbstverständlich erreichen auch so manche Memoiren, Autobiographien, Berichte oder Essays diese Gipfel.
Nun muss man die Ansprüche nicht künstlich hochschrauben, so dass alles, was sich unterhalb dieser Latte fröhlich und entspannt hindurchbewegt – das meiste, das erscheint -, einem Verdikt des Unzulänglichen verfiele, was ziemlicher Unsinn wäre. Aber darauf, dass etwas, das uns als Literatur oder Essay angeboten oder gar empfohlen wird, sprachlich und gedanklich durchgearbeitet ist, darf man allerdings bestehen. Und das trifft auf vieles zu, das im letzten Dreivierteljahrhundert hierzulande publiziert wurde.
Doch nicht auf alles. In Großbritannien nennt man geisteswissenschaftliche Hausarbeiten an Universitäten “Essays”, aber in Deutschland bereits Zeitungsartikel und Buchbeiträge zu Themen, die offenkundig alles andere als recherchiert und durchdacht wurden. Es gibt nicht wenige junge Leute, die einfach bloß notieren, was ihnen so zu diesem oder jenem einfällt, und das dann großspurig als “Essay” verkaufen. Immerhin war dies mal die Bezeichnung für einen Text, der mindestens eine geistreiche Auseinandersetzung mit einem Phänomen, einem Sachverhalt oder einer Idee bot. Davon spürt man heute leider oft nicht mehr viel.
Nichts gegen Bücher und Zeitungsartikel schreibende Rapper der Sparte “Eure Heimat ist unser Albtraum”, zu der auch Leute wie Christian Baron oder Behzad Karim Khani gehören. Ihre Texte finden ausreichend Abnehmer. Ich halte es für richtig und wichtig, dass sie erscheinen.
Leider kennen die meisten dieser Autoren nur ein Thema und das sind sie selbst. Eine bestechende literarische Analyse von Armut und ihren Milieus? Weit gefehlt! Eine Beschreibung von Befremden, Balanceakten, Sonnen- und Nachtseiten von Einwanderung? Vergiss es! Das Ausloten von Differenzen, seien es Nuancen, seien es Konflikte in diversen Milieus? Gibt’s nicht! Nur Arme und Reiche, nur Mehrheiten und Minderheiten, die sich jeweils als homogene Gruppen und Blöcke gegenüberstehen. Höchstens noch ein paar verachtenswerte Renegaten.
Was an diesen Texten interessant ist, sind die Ressentiments, die Selbstidealisierung und die Rechtfertigungen kollektiver Aggressionen. Schlechter Kitsch, klischierte Bilder, Agitprop und Poserei. Bastei-Lübbe für Akademiker. Bestimmt keine Essays, bestimmt keine ernstzunehmende Literatur, schon gar keine gute.