Seit gefühlt 15 Jahren platziert Daniel Gerlach seinen aus freien Assoziationen und wilden Spekulationen bestehenden Sermon zu den Konflikten im Nahen Osten in öffentlich-rechtlichen Medien. Seiner Selbsteinschätzung zufolge handelt es sich dabei um Analysen. Wer ihm beispielsweise gestern Abend bei „Markus Lanz“ zugehört hat, erfuhr, dass Donald Trump den Ereignissen im Krieg zwischen Israel und dem Iran hoffnungslos hinterherläuft, was Gerlach messerscharf aus diesem und jenem und nicht zuletzt aus den Posts des amerikanischen Präsidenten schloss. Das Publikum durfte in Echtzeit an der Demonstration eines alle verfügbaren Daten wie geschmiert verarbeitenden, hellwachen Verstandes teilnehmen. Indes: Welcher Erkenntnisgewinn ergibt sich eigentlich aus der scheinbar bemerkenswerten Beobachtung, tatsächlich aber nur willkürlich getroffenen Feststellung, im Grunde eine reine Mutmaßung, dass der in Deutschland ohnehin schlecht angesehene US-Präsident der raschen Abfolge von israelischen Präventivschlägen und iranischem Raketenbeschuss israelischer Zivilisten wie ein Insektenfänger hinterherstolpert? Offenkundig versucht Gerlach den Eindruck zu erzeugen, dass Trump nicht Herr des Geschehens ist und die Israelis mal wieder machen, was sie wollen. Kann ja sein, dass es so ist, aber was weiß man, wenn man das weiß, ganz abgesehen davon, dass jemand wie Gerlach das mit Sicherheit nicht wissen kann? Man erfuhr also, wie Gerlach über Trump und die Israelis denkt, aber nichts über den aktuellen Konflikt, geschweige denn über seine Hintergründe.
Aufschlussreich über die Methode Gerlach war auch seine folgende Einschätzung: Während des ersten Golfkriegs (1980-88) zwischen dem von Saddam Hussein diktatorisch geführten Irak und dem damals noch jungen totalitären Mullah-Regime wären die Iraner, vor allem die Teheraner luftabwehrtechnisch schon einmal nackt, sprich: ungeschützt den Bombenangriffen ausgesetzt gewesen und würden sich heute an dieses traumatische Erlebnis erinnern. Ach wirklich? Woher weiß Gerlach das? Kann er Farsi und hat mit Iranern vor Ort gesprochen, die ihm davon berichteten? Leute wie Iman Sefati, die nicht Politikwissenschaft und orientalische Geschichte studiert haben, dafür aber moralische Peilung und Verwandte im Iran, sagen etwas anderes, informieren die Leute hierzulande jedenfalls https://www.youtube.com/watch?v=2AQU2KtKDKg. Die iranische Fußballegende Ali Karimi ist eine weitere Stimme, die nicht so recht zu dem passen will, was Gerlach den ZDF-Zuschauern weiszumachen versucht https://www.mena-watch.com/iranische-fussballlegende-unterstuetzt-israel/ Und eine dritte Stimme https://www.youtube.com/watch?v=JEJ7RnU2rE4. Niemand spricht von aufbrechenden Traumata aus dem ersten Golfkrieg durch den aktuellen israelischen Angriff, niemand davon, dass Israels Militäroperation gegen das Atomprogramm der Mullahs die iranische Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft zieht. Gerlach fantasierte sich ohne jeden Realitätsbezug bei Lanz etwas zurecht. Was man statt einer Analyse von ihm erfuhr, war, dass er Israel für einen vergleichbaren Schurkenstaat hält wie weiland den Irak unter Saddam Hussein. Dass Israel im Unterschied zum Irak keine iranischen Zivilisten bombardiert oder – wie Sadddam – in Giftgas hüllt, ist offenbar ein vernachlässigbares Detail.
Es kam aber noch besser: Gerlach erinnern die israelischen Angriffe auf Atomanreicherungsanlagen, Atomwissenschaftler, Kommandeure der Revolutionsgarden, Geheimdienstchefs, Raketenabschussrampen, Ministerien und die Energieinfrastruktur an den Krieg in Gaza. Den Iranern stünde unmittelbar bevor, was die Gazaner seit Oktober 2023 erleben. (Später werden Gerlach und Lanz paradoxerweise fragen, wieso Israel in Gaza nicht so verfährt wie aktuell im Iran.) Der Nahost-Experte ist überzeugt, dass die Militäroperation Rising Lion der Israelis gegen den Iran lediglich zur Ablenkung vom Kriegsschauplatz in Gaza dient und darüber hinaus keinerlei gute Gründe habe. Schließlich sei der Iran auf dem Pfad der Deeskalation gewesen, während die kriegslüsternen Israelis wie immer nur nach einer Gelegenheit suchen.
Da waren sie wieder, die Obsessionen und gut gepflegten Ressentiments: Der Aggressor Israel schlägt ohne Sinn und Verstand völlig grundlos zu und um sich. Dabei hat Gerlach doch lt. wikipedia längst einen ausgearbeiteten Plan für Gaza vorgelegt, der sogar in einer saudischen Zeitung besprochen worden sein soll und den bloß die dummen Israelis bis jetzt verstockt ignorieren. Gerlach, dem man nicht nachsagen kann, übertrieben bescheiden aufzutreten, ist außer Journalist, Wissenschaftler, Publizist und Nahost-Experte, der wie weitere Experten seines Schlages – man denke an Michael Lüders – immer nüchtern analysiert und nicht wie andere bei einem edlen Tropfen vor sich hin plaudern, auch noch ein waschechter Problemlöser. Und solche möchten, das sich Regierungen, vor allem die israelische, ihrer Vorschläge annehmen und sie ohne Verzug in die Tat umsetzen. Nun mangelt es Deutschen wie Gerlach möglicherweise an so manchem, aber ganz gewiss nicht an maßloser Selbstüberschätzung, man könnte auch sagen, an Größenwahn. Vermutlich spricht der Mann keine Silbe Hebräisch und kein Wort Farsi und wie es um sein Arabisch bestellt ist, weiß auch niemand so genau zu sagen. Und trotzdem „analysiert“ er seit 15 Jahren den Nahost-Konflikt.
„Lanz“ endete gestern mit einer letzten aussagekräftigen und vom Moderator bekräftigten „Analyse“, wonach die von der Hamas vermeldeten 50.000 durch die israelischen Verteidigungsstreitkräfte im Gaza-Streifen Getöteten keinesfalls mehrheitlich Hamas-Terroristen gewesen sein können, wie der Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, Philipp Peyman Engel, gesagt hatte, und die beiden von den Israelis seit Oktober 2023 immer wieder genannten Kriegsziele der Geiselbefreiung und der Vernichtung der militärischen Kapazitäten der Hamas nur Vorwände sein können. Dass der Krieg in Gaza vorbei sein würde, wenn die noch immer im Gaza-Streifen festgehaltenen Geiseln freigelassen und die Hamas ihre Waffen niederlegen würden, sei laut Lanz, der das wissen muss, bloß israelische Propaganda. Das ist das Niveau der meisten öffentlich-rechtlichen Journalisten, sobald es um Israel geht.