Seit über einer Woche berichten die „Welt“, die „FAZ“ und andere Medien über die anstehende Richterwahl zum Bundesverfassungsgericht. Drei Kandidaten sollen am 11. Juli, also an diesem Freitag als Nachfolger für die turnusgemäß nach 12 Jahren ausscheidenden Richter gewählt werden. Zwei von ihnen, die Potsdamer Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf und die Münchner Juraprofessorin Ann-Katrin Kaufhold, beide von der SPD vorgeschlagen, offenbarten in den vergangenen Jahren ein problematisches Verständnis vom Verhältnis von Gewaltenteilung, Recht und Politik. Beide ließen öffentlich durchblicken, dass sie die Rechtsprechung auch als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele in einer Art Kulturkampf ansehen. Und genau das spricht gegen die Qualifikation für das Richteramt und erst recht für das Amt eines Verfassungsrichters. Selbstverständlich haben Juristen wie alle anderen Menschen auch Weltanschauungen und politische Vorlieben, müssen aber wie alle anderen Staatsbediensteten bei der Amtsausübung in der Lage sein, das eine vom anderen zu trennen. Und genau das sind beide Juristinnen offenkundig nicht.
Wie ist es einer linken und woken Minderheit gelungen, Medien, Universitäten, politische Parteien, ganze Ministerien etc. in ihrem Sinn handeln zu lassen? Nicht durch Überzeugungsarbeit, nicht durch Debatten, nicht durch Meinungsstreit, nicht durch faires Aushandeln von Kompromissen etc., sondern durch Organisations-, Gremien- und Verwaltungsarbeit, durch moralische Erpressung, durch Einschüchterung, durch autoritäres Bestrafen ihrer Gegner mit dem sozialen Aus und das konsequente Durchboxen ihrer weltanschaulichen Ziele überall dort, wo ihnen eine indifferente Mehrheit achtlos die entsprechenden Spielräume und Entscheidungsmöglichkeiten eröffnet hat. In Deutschland hat Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Atomausstieg, der Energiewende und der Grenzöffnung 2015 – „no borders, no nations“ – zentrale Ziele der Bündnisgrünen durchgesetzt, die zunehmend auch im linken Flügel der SPD vertreten wurden. Die völlig aus dem Ruder gelaufene staatliche Förderung linker und linksradikaler Nichtregierungsorganisationen „gegen rechts“ als politisiertes Vorfeld linker Parteien hat zu einer gesellschaftspolitischen Unwucht und Unausgewogenheit geführt, die sich sogar gegen staatliche Symbole wie die Nationalflagge richtet. Das ist insofern abstrus, als die Nationalsozialisten kaum etwas so sehr verachteten und hassten wie die demokratisch-republikanischen Farben schwarz-rot-gold von Weimar. Hinzu kommt, dass sich auf einmal linke und linksradikale Parteien wie die Grünen und die LINKE als demokratische Mitte ausgeben, obwohl sie das weder jemals waren noch heute sind. Die einen nicht, weil sie – wie Teile der SPD – aus der linksradikalen Studentenbewegung und den extremistischen K-Gruppen hervorgegangen sind und dieser linkstotalitäre Geist noch immer durch ihre Reihen weht, die anderen nicht, weil sie die Nachfolgepartei der SED ist und deren Ziele für die Radikalen in ihren Reihen nach wie vor verbindlich sind. Hochgefährlich ist das auch deshalb, weil Grüne, LINKE sowie Teile der SPD Islamisten im Schlepptau haben. Sie stellen immer ein zumindest tendenziell verfassungsfeindliches Doppelpaket dar. Das ist mit der einseitigen Fokussierung auf die Gefahr des Rechtsextremismus, die faktisch zweifellos besteht, vollständig aus dem Blick geraten. Und das war vermutlich das Ziel der Übung. Allerdings ist Deutschland ein Spezialfall. Identitätspolitik und wokeness haben aber auch ohne Angela Merkel seit einem Vierteljahrhundert die Institutionen im Westen erobert. Die Wahl Donald Trumps war die logische Folge.
Zurück zu den beiden Anwärterinnen auf die höchsten deutschen Richterämter. Ann-Katrin Kaufhold möchte Klimapolitik über Gerichte durchsetzen. Frauke Brosius-Gersdorf möchte den bestehenden Kompromiss zur Abtreibung aufkündigen und den Paragraphen 218 kippen, die AfD verbieten, die Einschränkungen für das Tragen des islamischen Kopftuchs im Dienst aufheben usw. Hätte ich eine Stimme im Parlament, würde ich sie weder den beiden noch anderen Kandidaten geben, die per Gerichtsentscheid von ihnen favorisierte politische Ziele durchzusetzen beabsichtigen und das der Öffentlichkeit zuvor bekanntgegeben haben. Selbst dann nicht, wenn ich ebendiese Ziele teile, also etwa Beibehaltung der Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch, resolut vorsichtig bei Parteiverboten und uneingeschränktes Verbot des islamischen Kopftuchs im öffentlichen Dienst, vor allem aber des Lehrerinnenkopftuchs. Erinnert sei an folgendes: Es waren die Nazis, die nicht lange nach ihrem Machtantritt alle Parteien außer der NSDAP verboten haben. Deshalb legten die weisen Mütter und Väter unseres Grundgesetzes die Hürden für ein Parteiverbot sehr hoch. In der Bundesrepublik wurden in den fünfziger Jahren zwei Parteien verboten, die Sozialistische Reichspartei (SRP) als Nachfolgepartei der NSDAP, deren totale Herrschaft ja noch nicht so weit zurücklag, und die Kommunistische Partei (KPD), deren Genossen jenseits der Elbe nur auf entsprechende Signale warteten. In einem Fall betraf es die unmittelbare Vergangenheit, im anderen die unmittelbare Gegenwart. Um eine Partei verbieten zu können, muss ein „aktiv-kämpferischer“ Wille, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen, nachgewiesen werden. Und es muss der programmatische Wille der gesamten Partei sein. Abfällige Äußerungen und selbst offene Absichtserklärungen einzelner Parteimitglieder reichen dafür nicht aus. Und entsprechende Auslegungen von Äußerungen, die – wie im Verfassungsschutz-Gutachten zur AfD – eher den Charakter von Unterstellungen haben, erst recht nicht. Der Verdacht liegt nahe, dass die Vertreter der etablierten Parteien, die die Probleme ja erst verursacht haben, die der AfD Höhenflüge bei Wahlen und in Umfragen verschafft haben, vor der politischen Bekämpfung dieser Partei zurückscheuen, und deshalb als Ersatzhandlung ein Verbotsverfahren anstreben. Das scheint mir zum Scheitern verurteilt zu sein, erklärt aber die Personalie Brosius-Gersdorf als Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht.
Doch wer den Rechtsstaat politisiert, bringt ihn zum Erliegen. Wer das Bundesverfassungsgericht instrumentalisiert, um politisch favorisierte Ziele durchzusetzen, zerstört seine Funktion als letzte unabhängige Kontrollinstanz über der Politik. Und es ist Unsinn zu erwarten, dass es schon einen Ausgleich zwischen jeweils unterschiedlich politisierten Juristen geben würde und Gerichtsurteile deshalb ausgewogen wären. Im Gegenteil, Ergebnis wäre nur eine politische Justiz, wie wir sie aus der Nazi-Zeit und aus der DDR kennen. Es wäre so, als würden wir die staatliche Neutralität in Schulen aufgeben und dort sämtliche religiösen und weltanschaulichen Symbole zulassen. Sofort bräche ein Kampf um die Hegemonie aus und mit dem Schulunterricht sowie dem Ziel einer zumindest annähernd allseits gebildeten, zu eigenständigen Entscheidungen fähigen Persönlichkeit wäre es vorbei. Lesen, Schreiben, Rechnen, Faktenwissen, Evolutionsgeschichte, Biologie-, Geschichts-, Musik-, Kunst-, Schwimm- und Sportunterricht adé. Analoges würde beim allerobersten „Hüter der Verfassung“ geschehen. Die Kanzler, die Vorsitzenden von Regierungsparteien, die Fraktionsvorsitzenden aller im Bundestag vertretenen Parteien könnten künftig beim Bundesverfassungsgericht anrufen und in der Hoffnung, ihre politische Position würde sich bei Beratungen durchsetzen, Urteile bestellen. Spart Zeit und Geld.
Im Fall von Kaufhold und Brosius-Gersdorf muss sich die SPD fragen lassen, warum sie diese Kandidaten überhaupt aufgestellt hat, da sie weder jemals als Richterinnen gearbeitet haben noch als unbefangen gelten können, was für jedermann leicht überprüfbar ist. Die Unionsparteien müssen sich fragen lassen, wieso sie die beiden Kandidaten der SPD widerspruchslos akzeptiert haben, obwohl sie ihren eigenen Kandidaten wegen der aus Sicht der Grünen zu konservativen Einstellung ausgetauscht hatten. Die gegenwärtige Rebellion innerhalb der Union entzündet sich vor allem an der juristisch ausführlich dargelegten Auffassung von Brosius-Gersdorf, dass die Menschenwürde nach Artikel 1 des Grundgesetzes einem menschlichen Wesen erst nach der Geburt zukäme. Das ist im christlich-konservativen Milieu unannehmbar. Das hätte die SPD, in deren Reihen auch gläubige Christen sitzen, wissen können, und die Union bei Festlegung der zur Wahl gestellten Kandidaten einwenden müssen. Würde Brosius-Gersdorf morgen mit Zweidrittelmehrheit gewählt, würde sich die politisch-ideologische Unwucht und Verzerrung nunmehr auch auf unser oberstes Gericht ausdehnen. Merke: kleine radikale Minderheiten setzen sich am Ende immer nur durch, weil Mehrheiten es zulassen.