Im Juni 2024 schrieb die Schriftstellerin Herta Müller für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ einen Essay über die Notwendigkeit von Israels Existenz, das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023, Extremisten auf Straßen und an Universitäten im Westen und den deutschen Kulturbetrieb (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/nobelpreistraegerin-herta-mueller-ueber-den-7-oktober-und-seine-folgen-19759496.html; hier die Vollversion ohne Bezahlschranke https://www.achgut.com/artikel/herta_mueller_eine_totale_entgleisung_der_zivilisation#google_vignette). Darin fragt die Nobelpreisträgerin von 2009, ob man sich durch das Massaker der Hamas an die Judenvernichtung der Nazis erinnert fühlen dürfe. Herta Müller bejaht das. Und nennt dafür gute Gründe. Dabei bezieht sie sich auf Christopher Brownings Buch „Ganz normale Männer“ aus den frühen 1990er Jahren. Es handelt von den deutschen Polizeibataillonen – keine SS-Einsatzgruppen, keine geschulten Weltanschauungskrieger –, die während des Zweiten Weltkriegs in Polen Massenmorde an Juden verübt hatten. Die Teilnahme daran war ihren Mitgliedern freigestellt. Sie mussten keine Bestrafung fürchten, wenn sie es ablehnten. Von dieser Möglichkeit machte nur eine verschwindend kleine Anzahl Männer Gebrauch: 12 von 500. Müller schildert das Massaker an den jüdischen Einwohnern der polnischen Ortschaft Józefow und anschließend eine Szene, in der ein Untergebener seinem Vorgesetzten, der beim Frühstück mit seiner Ehefrau im Garten sitzt, seinen Wunsch mitteilt, endlich wieder Juden töten zu dürfen.
All dem kann man entnehmen, dass der deutsche Judenhass nicht an organisierte Nationalsozialisten und der Judenmord nicht an eine Befehlskette gebunden gewesen ist, es Möglichkeiten gab, nicht mitzutun, der einzelne Mensch, das Individuum, und nicht die Gruppe, das Kollektiv, entscheidend und für sein Tun und Lassen verantwortlich ist. Konformitätsdruck, Gehorsamspflicht gegenüber Autoritäten, Rigorismus etc. können – anders als Browning mit seinem Verweis auf das Milgram-Experiment zu belegen glaubte – weder das Zustandekommen der Schoa noch das Mittun der Täter hinreichend erklären. Zum einen, weil fast alle Merkmale autoritärer Persönlichkeiten auch für linkstotalitäre und islamistische Systeme charakteristisch sind. Zum anderen, weil die zweitausendjährige Judenfeindschaft in sämtlichen Facetten und in allen gesellschaftlichen Milieus der mit Abstand wichtigste Faktor für die Judenverfolgung, den Judenmord und das ausbleibende breite Aufbegehren dagegen gewesen ist. Das gilt für fast ganz Europa. Nur die Dänen und die Bulgaren retteten ihre jüdischen Staatsbürger. In allen anderen von Nazi-Deutschland besetzten europäischen Ländern fanden sich bei der Judenverfolgung einheimische Helfer.
Und was hat das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 damit zu tun? Wieso hat Herta Müller mit ihrer Erinnerung an die Judenerschießungen der deutschen Polizeibataillone im Zweiten Weltkrieg Recht? Weil die ägyptische Muslimbruderschaft, die Mutterorganisation der heutigen Hamas, und Mohammed Amin al-Husseini, der Mufti von Jerusalem und Führer der arabischen Palästinenser, ihren damaligen Vernichtungskrieg gegen das jüdische Volk seit den 1930er Jahren mit den Nationalsozialisten gemeinsam führten. Der Mufti vertrat zwei Strömungen in einer Person: den Islamismus der heutigen Hamas und den arabischen Nationalismus, für den bis heute die eher säkulare Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) steht, die seit Gamal Abdel Nasser auch mit dem arabischen Sozialismus verknüpft ist. Weil es in der arabisch-islamischen Welt keine Trennung zwischen Religion und Politik gibt, gehen beide Strömungen trotz mörderischer Machtkämpfe und Rivalitäten ineinander über. Wie später die Hamas hatte auch schon al-Husseini außer Briten und Juden die eigene arabische Bevölkerung im Mandatsgebiet terrorisiert, Frauen das islamische Kopftuch und Männern das seit Arafat so genannte Palästinensertuch der Bauern und Beduinen aufgezwungen. Nach dem gescheiterten faschistischen Staatsstreich im Irak 1941, in den der Mufti involviert war und den ein Pogrom an den Juden von Bagdad (Farhud) krönte, floh er nach Nazi-Deutschland, wo er von Oktober 1941 bis Frühjahr 1945 lebte. In Berlin wurde er von Adolf Hitler empfangen, freundete sich mit Heinrich Himmler und Adolf Eichmann an, die mit der „Endlösung der Judenfrage“ betraut waren, verhinderte die Ausreise tausender jüdischer Kinder nach Palästina und forderte die arabischen Palästinenser im britischen Mandatsgebiet über den Kurzwellensender Zeesen dazu auf: „Tötet die Juden, wo immer ihr sie findet.“ Sowohl die Hamas als auch die PLO sehen sich in der Tradition al-Husseinis. Er ist für sie der in Grußbotschaften bis heute gefeierte Held der ersten Stunde. Der Vater Ali Hassan Salamehs, der 1972 als Chef des „Schwarzen Septembers“ den Münchner Terroranschlag auf die israelische Olympia-Mannschaft geplant und organisiert hatte, befand sich während des Zweiten Weltkriegs im Gefolge des Muftis. Jassir Arafat verstand sich Zeit seines Lebens als al-Husseinis „Soldat“ und führte nach dessen Tod 1974 in Beirut dessen Begräbniszug an. Die „Protokolle der Weisen von Zion“ auf die sich die Hamas in ihrer Charta beruft, hatte al-Husseini schon in den 1920er Jahren unter seinen Gefolgsleuten im Mandatsgebiet Palästina verbreitet. So, wie er auch schon antijüdische Attacken und Pogrome wie das in Hebron 1929 lanciert hatte.
Die enge Partnerschaft zwischen Nazi-Deutschland und arabischen Palästinensern ist historisch-faktisch und keine spekulative Assoziation. Das alles ist seit Jahrzehnten in einer Fülle deutschsprachiger und ins Deutsche übersetzter Fachbücher von Historikern detailliert aufgearbeitet, die in Deutschland nur deshalb nicht breit rezipiert worden sind, weil die Palästinasolidarität und die Israelfeindschaft an deutschen Universitäten ab den späten 1960er Jahren jede Debatte darüber an den Rand gedrängt hat oder ganz unterband. Wenn man bedenkt, wie lange es gedauert hat, bis die aus versprengten Milieus der Studentenbewegung erwachsene RAF, die eng mit der damals ebenfalls terroristischen PLO Jassir Arafats kooperierte, ihren romantischen Nimbus eines politischen Abenteuers unter jungen Leuten verlor, verwundert es wenig, dass die Palästinenser, die noch dazu seit den 1970er Jahren in Scharen illegal über Ost-Berlin in die Bundesrepublik einreisten, bis heute kontrafaktisch den Status unterdrückter Opfer genießen. Die Jüngeren unter den Sozialdemokraten unterhielten schon damals beste Beziehungen zu Arafats Fatah. Der Multikulturalismus nach Charles Taylor mit seinen Gruppenidentitäten, der sich mit den Grünen in den 1980er Jahren endgültig auch in Deutschland festsetzte, tat ein Übriges. Und nach der Vereinigung 1990 kamen die SED-Genossen in Gestalt der PDS hinzu, die seit 1973 offizielle staatliche Beziehungen zur PLO gepflegt und über zwei Jahrzehnte „unerklärte Kriege gegen Israel“ geführt hatten. In den meisten anderen Ostblockstaaten hatten sich Palästinasolidarität und Israelfeindschaft nach 1989 erledigt, in der inzwischen zur LINKEN umbenannten SED/PDS bis heute nicht.
Mit dem Zionismus und mit Israel hat der arabisch-palästinensische Judenhass in seinem Ursprung nicht das Geringste zu tun. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Der palästinensisch-israelische Konflikt ist eine Folge der arabisch-palästinensischen Judenfeindschaft, wie sie al-Husseini, Arafat, Abbas, Hamas und Islamischer Dschihad repräsentieren. Es gab in der Zwischenkriegszeit Araber und arabische Palästinenser, die mit den nach Palästina einwandernden Juden, die weder als feindselige Eindringlinge noch als Eroberer kamen, kooperieren und gemeinsam etwas aufbauen wollten – man denke an Emir Faisal I. oder den mit dem Husseini-Clan rivalisierenden Nashashibi-Clan in Jerusalem. Allein der Mufti hinderte die arabischen Palästinenser durch Morde, Erpressung und Einschüchterung daran, so, wie in Deutschland die Nationalsozialisten ab 1930 verhinderten, dass deutsche Juden gleichberechtigte Staatsbürger blieben. Wobei man hinzufügen muss, dass ihnen die anderen Parteien durch ihre Schwäche, ihre Gleichgültigkeit gegenüber der antisemitischen Gefahr, die jede Demokratie aushöhlt, ihre Unfähigkeit und Unerfahrenheit im demokratisch-parlamentarischen Geschäft dabei halfen, an die Macht zu gelangen und danach ein Großteil der deutschen Gesellschaft mit ihrem Opportunismus, mit ihrer Mitläuferei, mit ihren antijüdischen Ressentiments, ihrer Gleichgültigkeit und ihrer Ergebenheit dabei half, es bis 1945 zu bleiben. Am Ende der Nazi-Herrschaft waren sechs Millionen europäische Juden tot. Direkt gemordet haben nur ein paar Zehntausend, in die Mordmaschinerie verstrickt waren eine halbe Million, geduldet haben es fast alle. Und wäre der Mufti, der wegen der von ihm in Jugoslawien aufgestellten muslimischen SS-Divisionen von den Alliierten als Kriegsverbrecher gesucht wurde, in einem der Nürnberger Prozesse angeklagt und verurteilt worden, hätte es trotz der Israelfeindschaft der Arabischen Liga und der Sowjetunion vermutlich keine Palästinasolidarität in der westlichen Welt gegeben.
Deutschland und die palästinensische Gefolgschaft des Muftis von Jerusalem sind ein spezieller Fall. Herta Müller beschreibt das gespenstische Spiel studentischer Tribunale an amerikanischen Universitäten, die an die chinesische Kulturrevolution erinnern. Wie kam dieser Geist des politischen und kulturellen Konformismus in den Westen? Wie wurde die Juden- und Israelfeindschaft internationalisiert? Durch die UNO. Die Arabische Liga und die Sowjetunion sorgten für die Popularisierung Jassir Arafats als Befreiungskämpfer gegen den westlichen Imperialismus und Kolonialismus, als Kämpfer gegen Apartheid, Rassismus und Unterdrückung, indem sie durchsetzten, dass er 1974 eine antizionistische Rede in der UN-Vollversammlung halten konnte. Im Jahr darauf wurde die berüchtigte, erst 1991 zurückgenommene UN-Resolution 3379 verabschiedet, die den Zionismus als Rassismus verunglimpfte und Israel auf eine Stufe mit Südafrika und Rhodesien stellte. Die arabischen Staaten, die Staaten des Ostblocks und des globalen Südens hatten sie eingebracht und dafür gestimmt. Zwar stimmten die meisten westlichen Staaten dagegen, aber künftig hatte die antiamerikanische und antiisraelische Neue Linke im Westen, die für Massenmörder wie Stalin, Mao und Pol Pot brannte, ein offizielles Dokument, auf das sie sich berufen konnte. Die UN-Antirassismus-Konferenz in Durban im Jahr 2001, an der viele westliche Nichtregierungsorganisationen teilnahmen, setzte den Geist der inzwischen abgewickelten Resolution 3379 ungebrochen fort. 2004 starteten in Kanada die ersten Israeli-Apartheid-weeks, die sich jährlich an anglo-amerikanischen Universitäten wiederholen. 2005 kam im akademischen Milieu der Neuen Linken ersonnene antisemitische Israel-Boykottkampagne Boycott, Divestment, Sanctions (BDS) hinzu, die regelmäßig zu umfassenden Boykottmaßnahmen gegen Israel in Wissenschaft, Kultur, Kunst, Wirtschaft und Politik aufruft. Sie wird durch die Lawfare-Praxis ergänzt, die internationales Recht als Waffe gegen Israel einzusetzen strebt, indem sie dem jüdischen Staat öffentlichkeitswirksam den Bruch des Völkerrechts, Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen, Apartheid, ethnische Säuberungen, Völkermord an den Palästinensern vorwirft. Die Völkermordklage Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof nach Ausbruch des Gaza-Kriegs durch das Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 ist eine ebensolche politische Indienstnahme der Justiz wie die Strafverfolgung des israelischen Premies Benjamin Netanjahus und des ehemaligen israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallants durch den Internationalen Strafgerichtshof. Das alles betrifft den Bereich von Politik, Justiz, Wirtschaft, Kunst und Kultur.
Und wie kam der Juden- und Israelhass in die seriöse Wissenschaft? Durch den 2003 verstorbenen palästinensischen Literaturprofessor Edward Said von der Columbia University, der nach Arafats Auftritt vor der UNO und der Resolution 3379 zum Zionismus als Rassismus 1978 und 1979 die beiden Bücher „Orientalismus“ und „The Question of Palestine“ veröffentlichte. Said verlieh politischen Schlagworten und Parolen wie Orientalismus, Imperialismus, Kolonialismus, Rassismus und Apartheid den Anstrich seriöser Wissenschaftlichkeit, Faktizität und Sachlichkeit, die sie realiter überhaupt nicht hatten. Die systematische Täter-Opfer-Umkehr, Verdrehung, Verzerrung und Ausblendung von Tatsachen, Wahrheit und Wirklichkeit und der Vorwurf der Instrumentalisierung des Holocaust zur Durchsetzung politischer Ziele durch Juden und Israelis nahmen hier ihren Anfang. Said prangert den westlichen Imperialismus und Kolonialismus Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten an, blendet aber den der arabischen Expansion ab dem 7. Jahrhundert, den des Osmanischen Reichs und der Sowjetunion aus. Weder werden der Völkermord an den Armeniern durch die Jungtürken noch das Faisal-Weizmann-Abkommen oder die mörderischen Attacken auf jüdische Einwanderer und das Pogrom auf die einheimischen Juden, den alten Jischuw, in Hebron 1929, der Peel-Plan von 1937 und der UN-Teilungsplan von 1947 sowie die von den arabischen Anrainerstaaten angezettelten Angriffskriege 1948 und 1973 erwähnt. Weder kommen al-Husseini, der Mufti von Jerusalem, seine unrühmliche Rolle in Palästina und im Irak, seine Partnerschaft mit den Nationalsozialisten, seine Rundfunkaufrufe zum Töten von Juden, seine Rolle beim Holocaust und seine Funktion als Nennonkel von Jassir Arafat, dem faktischen Chef einer Terrororganisation zur Sprache noch die zahlreichen Terroranschläge einschließlich des Münchner Olympia-Attentats auf die israelischen Sportler 1972. Saids wolkig formulierter Vorwurf, die zionistischen Einwanderer hätten so getan, als beträten sie einen „leeren Raum“ ist angesichts der Feindseligkeiten, die der Mufti und der Syrer Iz ad-Din al-Qassam seit Beginn der 1920er Jahre in einer Tour gegen sie schürten, blanker Hohn. Das Palästina des 19. Jahrhunderts war schwach besiedelt. Durch die Segnungen der Briten und der jüdischen Einwanderung, die das Land urbar machte und Arbeitsplätze schuf, erlebte Palästina eine arabische Zuwanderung aus den anliegenden Provinzen Syrien, Mesopotamien und Transjordanien und eine unvergleichliche arabische Bevölkerungsexplosion einschließlich eines gehobenen Lebensstandards.
Zionisten beriefen sich auch nicht, wie Said behauptete, auf die Bibel, um ihre kulturhistorische Verbundenheit mit dem Land zu belegen, sondern auf historische Berichte, Zeugnisse und Artefakte in sumerischer, phönizischer, aramäischer, hebräischer, griechischer, lateinischer etc. Sprache, die dort lange heimisch waren, bevor „Palästina“ – das Wort ist die griechisch-lateinische Bezeichnung der biblischen Philister, die vermutlich vom Balkan kamen – arabisiert und islamisiert wurde. Ziemlich spät, ab dem 7./8. nachchristlichen Jahrhundert. Mit dem Effekt, dass die zuvor auf diesem Gebiet lebenden Juden und Christen Einwohner zweiter und dritter Klasse wurden und Schutzgeld zahlen mussten, keine Waffen tragen durften, aber Kennzeichen ihrer Unterwerfung und Unterlegenheit an ihrer Kleidung anbringen mussten etc. Die Islamisierung verlief nicht ohne Gewalt, wie die Vertreibung der Byzantiner und die Zerstörung christlicher Kirchen belegen, die den ersten Kreuzzug veranlassten. Wären die 1947 in Qumran gefundenen Schriftrollen heute fachmännisch erschlossen, wenn die Israelis 1967 Ostjerusalem nicht erobert hätten? Kurz und gut: Juden und Europäer waren sehr lange vor den Arabern und Muslimen in „Palästina“ heimisch. Und wäre Said ein an historischen Tatsachen orientierter Wissenschaftler gewesen, hätte er dieses Faktenwissen in seinen Studien berücksichtigt. In „Orientalismus“ entwickelt Said eine merkwürdige Verschwörungsfantasie, in der europäische Militärs, Politiker, Wissenschaftler – vor allem Archäologen -, Schriftsteller, Maler, Touristen sich zusammentaten, um den „Orient“ als Kontrastfolie ihrer eigenen Identität zu erfinden, ihn abzuwerten, um sich selber zu erhöhen, und mit Begriffen wie „Rückständigkeit“, „Stillstand“, „Irrationalität“, „Gewalttätigkeit“ etc. zu belegen. Die zu stellende Frage ist nicht, ob es moralisch einwandfrei, politisch korrekt oder freundlich ist, solche Aussagen zu treffen, sondern ob sie faktisch stichhaltig sind. Es war Edward Said, der den arabischen Palästinensern, Arabern überhaupt und dem Islam sowieso kontrafaktisch einen Opferstatus zusammenbastelte, der sie als Unterdrückte des westlichen Kolonialismus und Imperialismus erscheinen ließ, von Europäern angeblich genauso verfolgt, verjagt und vernichtet wie die Juden. Vom arabischen Rassismus, vom arabischen Sklavenhandel, von den arabischen Eroberungen bis nach Sizilien und bis ins südliche Frankreich, von der osmanischen Eroberung Konstantinopels und des heutigen Bosniens, von der zweimaligen Belagerung Wiens und der dreihundertjährigen Barbareskenpiraterie bis weit ins nördliche Europa und der Blockade der Handelswege, die erst mit der französischen Besetzung Algeriens 1830 ein Ende fand, keine Rede, keine Spur. Es war Edward Said, der mit „Orientalismus“ die postkolonialen Studien begründete und den Holocaust zu einem Spezialfall des Kolonialismus erklärte, der durch den angeblichen Rassismus der Zionisten und ihren Siedlerkolonialismus ohnehin ausgeglichen wäre. Quid pro quo. Es fallen einem unwillkürlich die 50 Holocausts von Mahmud Abbas bei der Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz im Sommer 2022 ein, die Israel angeblich an den arabischen Palästinensern begangen haben soll. Aus Tätern – Mufti und Muslimbrüder, Arafat, PLO, Chomeini, Hamas, Islamischer Dschihad, Hisbollah, Huthi, Mullahs – wurden Opfer und aus Opfern Täter.
In Deutschland spielte Edward Said bis weit in die Nullerjahre keine Rolle. „Orientalismus“ kam erst mit der Etablierung der postkolonialen Studien auf die hiesigen Seminarpläne. An amerikanischen und britischen Universitäten ist das anders. Dort spukt der vermeintlich wissenschaftliche Wahrheits- und Faktenpluralismus der „Narrative“ eines Edward Said durch die Hirne und Herzen von Studenten. Das und die Hamas-Propaganda hat sie „dumm“ gemacht, wie Herta Müller sagt. Sicher sind dabei auch die sozialen Medien ein Faktor, die diese fake history, passende Videoschnipsel und Fotos von Al Jazeera und anderen arabischen Sendern, entsprechende Karikaturen, Parolen und Schlagworte verbreiten. Aber in der Hauptsache ist es eine universitäre Ausbildung, die Juden und den Westen als weiße Ungeheuer und Inbilder alles Bösen dämonisiert. Bemerkenswert daran ist nur, dass sich Nationalsozialisten, Islamisten, Kommunisten und Antiimperialisten jeder Couleur das ganze schreckliche 20. Jahrhundert hindurch in dieser Gedanken- und Gefühlsallianz bewegten. Das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 und die Reaktion in Teilen der westlichen Welt darauf hat gezeigt, dass wir es nicht hinter uns haben.