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Kalif Storch und die deutsche Islampolitik: Nicht Muslime, die Politiker machen die Probleme

So romantisch wie der Schwabe Wilhelm Hauff die Muslime in seinen Märchen darstellte, so sehen manche Politiker, Journalisten und Wissenschaftler sie leider noch heute. Sie glauben an ihren Kalif Storch und lassen sich das von religionskritischen Einwanderern aus islamischen Lländern ungern nehmen.

Nun hat die Religionskritik seit Beginn des Arabischen Frühlings in der islamischen Welt rapide zugenommen. Gegeben hat es sie dort schon früher. Salafistische Bewegungen und der politische Islam, namentlich die 1928 gegründete Muslimbruderschaft mit ihrem Projekt einer islamisierten Moderne, brachten die sich entwickelnde Islamkritik in Verruf und mancherorts zum Stillstand. Gewiss, die Türkei war bis zum Machtantritt Erdogans ein laizistischer Staat. Doch islamistische Bewegungen fassten dort seit den siebziger Jahren fester Fuß. Zum Aufschwung des politischen Islam trug vor allem das Kollabieren des arabischen Nationalismus bei, eine Folge der Niederlage arabischer Armeen im Sechstagekrieg gegen Israel 1967. Die erste Geige in der Arabischen Liga spielte fortan nicht mehr Gamal Abdel Nasser, sondern Saudi-Arabien. Das Schlüsseljahr 1979 mit der Islamischen Revolution im Iran, der Besetzung der Großen Moschee in Mekka durch Islamisten und dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan verhalf dem politischen Islam zum Durchbruch. Seit dem Mordaufruf Ajatollah Chomeinis gegen den Schriftsteller Salman Rushdie 1989 sind Atheisten, Agnostiker und Konvertiten aus der islamischen Welt auch im Westen vor lebensbedrohlichen Anfeindungen durch Islamisten nicht mehr sicher. Inzwischen gehören Mordaufrufe und -anschläge auf Karikaturisten, Satiriker, Publizisten, westlich lebende Frauen und Männer, Soldaten, Polizisten, Politiker, Lehrer etc. zum europäischen Alltag. Unsere prominentesten Islamkritiker kaufen ihre Frühstücksbrötchen heute in Begleitung von Polizisten. Und dies, obwohl Religionskritik eine der Säulen des modernen Europa ist. Das wäre das eine.

Das andere sind die mangelnde Bereitschaft manch autochthoner Politiker, Wissenschaftler und Journalisten, sich mit real existierenden islamischen Kulturen zu befassen. Darin zeigt sich ihre Überheblichkeit. Das angestrengte Hinwegsehen über die Bedürfnisse hier lebender säkularer Menschen, vor allem Muslime und Ex-Muslime durch Politik und Medien ist erschreckend. Warum haben Islam-Funktionäre ungleich mehr Stimme im Parlament als diejenigen, die sie völlig zu Recht kritisieren, weil es den Islamverbänden nicht um Religion, sondern um Politik geht? Bevorzugen Politiker und Medien den Verbände-Islam deshalb, weil sie ihn aus der Ferne betrachtet mit kirchlichen Institutionen verwechseln? Über diesen Irrtum können säkulare Muslime schnell aufklären, würden ihre Stimmen von Politikern stärker warh- und ernstgenommen. Anstatt die Privilegien der Kirchen endlich peu a peu abzuschaffen, hypen Politiker den politischen Islam, der mit den Kirchen gleichzuziehen strebt.

Wieviel Denkfaulheit, Bequemlichkeit, Selbstgenügsamkeit und Selbstverliebtheit zeigt sich in der Entscheidung der parteilosen Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, einen islamischen Gebetsruf bei Vorliegen eines Antrags von Moscheegemeinden und probeweise für zwei Jahre zu genehmigen? Selbstverständlich wird Rekers Entscheidung von Lamya Kaddor (Grüne) und der Kölner Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur bejubelt. Kaddors Verein “Liberal-Islamischer Bund” betreibt schon im Namen Etikettenschwindel. Bloß kein Kopftuch zu tragen, es gar für überflüssig zu erklären, bedeutet keineswegs bereits, liberale Muslimin zu sein. Ihre fundamental-religiöse Ausrichtung bewies Kaddor wiederholt in ihren öffentlichen Äußerungen zu Geschlechterrollen, zu Fragen der Aufklärung und zur Judenfeindschaft im Islam. Auch Islamisten anerkennen die Notwendigkeit von Vernunft und Reformen im Islam. Nur wollen sie nicht den Islam modernisieren, sondern die Moderne islamisieren. Dazu gehört natürlich die Interpretation des Korans, in dem angeblich die ganze Moderne schon immer drinsteckt. Die Muslimbrüder sehen das übrigens ganz ähnlich. Mit ihrer unübersehbaren Nähe zum Islamischen Zentrum Hamburg und seiner Moschee, ergo: zum politischen Islam, lässt Katajun Amirpur eine klar vernehmbare Distanz zu politisch-religiösen Extremisten vermissen.

Medienberichten ist zu entnehmen, dass die Genehmigung des freitäglichen Muezzin-Rufs keine öffentlich ventilierte Idee der Islamverbände gewesen ist und auch keine Moscheegemeinde ihn bislang gefordert hatte. Wozu auch?! Muslime besitzen Handys und Armbanduhren und kennen die Gebetszeiten, benötigen deshalb keinen Muezzin, der sie durch seinen Ruf daran erinnert, wie Lale Akgün (SPD) in ihrem facebook-Eintrag vom 9. Oktober 2021 schrieb. Worum anderes als um scheintolerante, ein bisschen folkloristisch angehauchte Selbstgefälligkeit geht es der Kölner Oberbürgermeisterin also?

Mina Ahadi wies Reker in einem Offenen Brief auf die Zumutung hin, die ein islamischer Gebetsruf für politisch (und religiös) verfolgte Exiliraner und andere aus islamisch geprägten Ländern geflohene Menschen darstellen muss. Henryk Broder monierte die Inkonsequenz der Kölner Entscheidung, da man sich zwar über störende Muezzin-Rufe, aber nicht über belästigendes Kirchenglockengeläut beschweren könne. So furchtbar antidiskriminierend ist die Oberbürgermeisterin nicht unterwegs. Necla Kelek hat darauf aufmerksam gemacht, dass “Allahu akbar” schließlich auch von islamistischen Attentätern gebrüllt wird, hier also ein Unterschied zum nonverbalen Glockenläuten besteht. Susanne Schröter, die in Frankfurt/Main zum “Globalen Islam” forscht, unterstrich diesen Unterschied zwischen dem Muezzin-Ruf, der Allah als den Größten anpreist und damit einen Überlegenheitsanspruch formuliert, den die Mehrzahl der hier lebenden Muslime weder erhebt noch hören möchte, da sie ihn erstens nicht teilt und zweitens durch ihn eher traumatisiert als repräsentiert würde. Die Kölner Entscheidung privilegiere vielmehr erneut den politischen Islam, der hierzulande nur eine kleine muslimische Minderheit vertritt. Mit Katajun Amirpurs Interpretation der angeblich integrierenden Wirkung des genehmigten Muezzin-Rufs konfrontiert, antwortete Schröter lapidar, dass die Mehrheit der Muslime in der Bundesrepublik integriert ist und säkular lebt. Die Politik täte besser daran, auf diese muslimische und ex-muslimische Mehrheit zu hören, anstatt auf die Vertreter des politischen Islam und seine Apologetinnen.
der Kölner Entscheidung für den Gebetsruf konfrontiert,

Ahmad Mansour wiederum mahnte völlig zu Recht endlich Klarheit unter autochthonen Europäern darüber an, ob sie eine säkulare oder eine christliche Ordnung wollen. Psychologe, der er ist, weiß er, dass es in dieser Frage nicht auf Muslime ankommt, sondern auf das Selbstverständnis der europäischen Eingeborenen. Ich sehe das ähnlich. Der französische Laizismus, den ich bevorzuge, wird sich weder in Deutschland noch in anderen europäischen Ländern durchsetzen lassen. Leider. Wenigstens das Säkularitätsprinzip – die glasklare Trennung von Staat und Religion – aber sollte dies tun. Andernfalls werden wir künftig einen Kampf um die wahre Religion und ihre Hegemonieansprüche erleben. Ich halte es nicht bereits für ausgemacht, wer sich in diesem Fall als der Stärkere durchsetzt. Die an die säkularen Muslime und muslimischen Religionskritiker durch islamische Extremisten adressierten Vorwürfe der Islamfeindschaft sind im Übrigen immer der Anfang vom angestrebten Ende unserer säkularen Ordnung. Was in Großbritannien mit der Verfolgung Salman Rushdies begann und mit der Ermordung Samuel Pathys einen grausamen Höhepunkt erlebte, sollte uns aufgeschreckt haben.

Zurück zu Kalif Storch. Wenn die Politiker hierzulande nicht endlich ihren über Jahrhunderte gepflegten Romantizismus aufgeben, wird sich der politische Islam noch fester verankern können, als er das ohnehin schon getan hat. Dann dominiert eine radikalislamische Minderheit nicht nur die Muslime, sondern auch den Rest. Was ist zu tun? Klarheit über eines der tragenden Säulen unserer liberalen Demokratie schaffen: das Säkularitätsprinzip stärken, die Privilegien der Kirchen abschaffen und den politischen Islam zurückdrängen!