In diesen Wochen sendet der Deutschlandfunk wieder Hörspieladaptionen einzelner Bücher von Marcel Prousts siebenbändigem Romanwerk “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit”. Diese Hörspiele sind gut gemacht und gut besetzt. Es bereitet Vergnügen sie zu hören. Aber so wenig Prousts “Recherche” verfilmbar ist – man hat es oft versucht und es sind beachtliche Filme entstanden; mit Prousts Roman haben sie allerdings nicht viel zu tun -, so wenig lässt sich sein Hauptwerk für das Radio adaptieren. Wer Prousts “Recheche” kennen lernen möchte, der muss sie lesen. Daran führt kein Weg vorbei und eine Abkürzung über Adaptionen gibt es nicht. Sowohl auf der Leinwand als auch im Hörfunk entfallen die für Proust typischen Passagen, in denen sich essayistisch alle möglichen psychologischen, wahrnehmungstheoretischen, soziologischen, kunst- oder kulturgeschichtlichen Überlegungen und Beobachtungen mit der Beschreibung von Personen, einer Laterna magica, Menüs, Gerüchen, Geschmäckern, Geräuschen, Liebesbeziehungen, Landschaften, Bauten, Land- und Stadthäusern, Villen, Hotels, Palais, Kunstwerken, Zug- und Autofahrten, Spaziergängen, Stadtansichten, Salonabenden, Theater- oder Restaurantbesuchen, Büchern und Zeitungsberichten etc.pp mischen. Sie sind essentiell und kein schmückendes Beiwerk, aber nicht verfilmbar und werden zugunsten der Figurenrede im Hörspiel ebenso ausgespart wie die ausgewogenen, detaillierten und ausführlichen Charakterisierungen der Romangestalten. Auch wenn der Erzähler wie der Autor der “Recherche” den Namen ‘Marcel’ trägt, handelt es sich nicht um eine Autofiktion und auch nicht um eine Lebensgeschichte. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit erfahren die Leser viel über die Prozesse individuellen Erinnerns, über das Erleben von Dingen und Lebewesen aller Art, von Menschen aus vornehmlich kleinbürgerlichen, bürgerlichen und aristokratischen Milieus und es ist ihre Perspektive, welche etwa die Dreyfuss-Affäre im doppelten Sinne des Wortes reflektiert, die dann wiederum gebrochen durch den erinnernden Erzähler greifbar wird. Die Romanzeit reicht vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs. Ins Genre Hörspiel lässt sich Prousts Romanwerk nicht transferieren – wie im Übrigen auch kein anderer innovativer Romanklassiker, sei es Franz Kafkas “Der Prozeß”, James Joyce’ “Ulysses”, Thomas Manns “Der Zauberberg”, Virginia Woolfs “Mrs Dalloway”, Alfred Döblins “Berlin Alexanderplatz” oder Robert Musils “Der Mann ohne Eigenschaften”. Hörspieladaptionen können den Appetit aufs Original anregen, ersetzen können sie das zeitraubende, aber lohnende Lesen nicht.