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Franz fragt: Wie hätten sie’s denn gern?

Wäre ich der Allmächtige, könnte ich deine Frage beantworten. Blinde sind Individuen wie Sehende. Je nachdem, wie lange man “im Club” ist, kann man von den unterschiedlichsten Erfahrungen berichten. Es gibt aber ein paar allgemeine Regeln. Will wer Blinden bei der Begegnung im Alltag helfen, fragt er vorher. Auf diese Weise können hilfsbereite Menschen nichts verkehrt machen: “Brauchen Sie Hilfe?” oder “Kann ich Ihnen helfen?” Das gibt allen Blinden die Möglichkeit, zu sagen, was nottut, oder freundlich dankend abzulehnen. Blinde stoßen hilfsbereite Menschen ungern vor den Kopf. Doch gelegentlich geschieht es, weil sie sich unerbetener “Hilfs”dienste erwehren müssen, die genau das Gegenteil von dem sind, was vielleicht beabsichtigt war. Blinde einfach am Arm zu packen, den weißen Langstock festzuhalten, Blinde mit beiden Händen an die Schultern zu fassen, um sie wie ein batteriebetriebenes Spielzeug in eine bestimmte Richtung zu drehen, verbietet sich! Dahinter steckt kein böser Wille. Es sind Unsicherheit und das Unvermögen, mit Worten umzugehen. Viele Menschen können sich nur schwer vorstellen – ich selbst bis vor kurzem nicht ausgenommen – wie Blinde sich im Alltag zurechtfinden. Blinde führen zu wollen, würde erfordern, das kleinste Hindernis am Boden anzusagen, jede Bordsteinkante, jede Schwelle, jede Treppenstufe, alle Gegenstände, die jeder Sehende mühelos umschifft. Blinde erpendeln und ertasten dergleichen mit dem Langstock, denn exakt dafür ist er da.

Den Stock festzuhalten oder Blinde an genau den Arm zu nehmen, mit dem sie den Stock führen, ist deshalb keine Hilfe, sondern im Gegenteil eine erhebliche Behinderung. Davon abgesehen ist es Blinden oft unangenehm, wenn sie einfach beim Arm gepackt werden. Stell Dir vor, du läufst die Straße entlang und ein Dir völlig unbekannter Mensch, den du zu allem Überfluss nicht sehen kannst, ergreift unvermittelt Deinen Arm und zieht Dich mit sich. Das wäre dir mit Sicherheit nicht recht und das würden vermutlich die meisten Menschen als übergriffig empfinden. Blinden geht es genauso. Ebenso unschön ist es, wenn Menschen auf die zurückgewiesene “Hilfe”, die ja in Wahrheit keine ist, barsch reagieren und beginnen, Blinde als vermeintlich undankbare, im Umgang schwierige, mimosenhafte Geschöpfe zu beschimpfen, denen man es nie recht machen kann, so sehr man sich auch bemüht. “Ich wollte Ihnen nur helfen”, heißt es oft hörbar gekränkt. Mag sein. Bei Blinden entsteht allerdings der Eindruck, dass diese herablassenden “Hilfs”gesten wenig mit ihrer tatsächlichen Hilfsbedürftigkeit zu tun haben. Meist benötigen Blinde Auskünfte über all das, was über den Stock nicht in Erfahrung zu bringen ist: Sei es der Straßenname, sei es die Nummer eines Hauses oder von Bus und Bahn, sei es der Eingang des Geschäfts, das sie aufsuchen wollen. Das erfragen Blinde dann. Auch, ob gerade Grün ist, wenn sie merken, dass Menschen an einer Ampel die Straße überqueren, obwohl kein Signal ertönt. Einfach mitzulaufen, empfiehlt sich nicht. Man ist als Blinder nie so wendig wie ein Sehender, der vielleicht gerade noch beiseite oder auf den Gehweg springen kann, falls sich ein Fahrzeug nähert. Ein für Sehende sicher seltsames Phänomen sind Blinde, die an grünen Ampeln stehenbleiben. Denn erstens wissen sie nicht, ob die Grünphase zeitlich ausreicht, um über die Straße zu gelangen, und zweitens geben die bekannten Signalanlagen für Blinde immer erst nach Rotphasen Töne von sich und nicht schon dann, wenn gerade grün ist, während Blinde anlangen und sie bedienen. Einmal schubbste mich ein der Stimme nach älterer Herr, der gerade vorbeiging, mit den groben Worten “Na geh schon, ist grad Grün!” auf die Fahrbahn. Die Ampel sprang in derselben Sekunde auf Rot, die Autos fuhren an, der schwarze Ritter riss mich zurück und tat allen Umstehenden erklärend kund, dass er gerade einer leichtsinnigen Blinden das Leben gerettet habe. Als ich mich gefangen hatte, rief ich dem sich eilends Schleichenden hinterher, er möge sich einen anderen Freizeitsport suchen. Weiß der Kuckuck, weshalb manche Zeitgenossen Blinde nicht ihren Weg gehen lassen können, ohne ungefragt einzugreifen. Mein Alltag ist das nicht, eine unangenehme Ausnahme schon.