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Aktueller Judenhass Nummer Eins: Warum manche Wissenschaftler Antisemitismus nicht wahrnehmen, auch wenn er sie förmlich anschreit

Die jüngsten juden- und israelfeindlichen Ausschreitungen vor und gegen Synagogen und auf propalästinensischen Demonstrationen anlässlich des Gaza-Krieges sind hierzulande ausgiebig kommentiert worden. Anders als im Juli 2014 haben viele Politiker deutlich Stellung für das selbstverständliche Recht Israels auf die Verteidigung und den Schutz seiner Staatsbürger bezogen und auch zur Solidarität mit dem jüdischen Staat klare Worte gefunden. In der Antisemitismusforschung war und ist das nicht immer der Fall. Das überrascht wenig.

Denn an Universitäten bricht sich seit längerem ein unguter Trend Bahn. In den Vereinigten Staaten begann er um die Jahrtausendwende seinen Lauf zu nehmen: Das Ersetzen von wissenschaftlicher Expertise durch politisch-ideologische Schablonen. Der relativierende und ideologisch verzerrende Vergleich von Antisemitismus und “Islamophobie” durch Antisemitismusforscher wie Wolfgang Benz im Jahr 2008 war ein erster Tiefpunkt dieser Entwicklung. Die “Initiative GG 5.3, Weltoffenheit”, die die Kampagne “Boycott, Divestment and Sanctions”, kurz  BDS genannt, vom Judenhass freisprach, stellte im Dezember 2020 einen  zweiten dar und ein dritter folgte
im März 2021 mit der “Jerusalem declaration on antisemitism”, die die weithin anerkannte und praktikable Antisemitismus-Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zu ersetzen strebt. Phyllis Chesler, US-amerikanische Psychologin und Frauenforscherin, hat das intellektuelle Desaster, das in der Geschichte, besonders der deutschen, keineswegs neu ist, dieser Tage auf den Punkt gebracht: “Academics use Propaganda, not Expertise, to bash Israel” https://www.investigativeproject.org/8868/academics-use-propaganda-not-expertise-to-bash. Wo genau liegt das Problem?

Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus – Kontexte, Intentionen, Perspektiven, Identitäten?

Wenn Wissenschaftler keine Forschung ohne ideologische Schlagseite betreiben, werden auch ihre Arbeitsergebnisse Propaganda sein. Was heute daran so attraktiv ist? Man kann sich das eigenständige Denken, Schreiben und Reden ersparen. Es genügt vollauf, Filter über einen Quellenkorpus oder empirische Befunde zu legen, Textbausteine hin und her zu schieben, bestimmte Begriffe zu jonglieren und im richtigen Moment an der richtigen Stelle fallen zu lassen. Das Arbeitsergebnis stellt sich dann gleichsam von alleine ein. Mit dem Untersuchungsgegenstand hat das gewöhnlich wenig zu tun, weil ein auf diese Weise verfahrender ‘Wissenschaftler’ sich gar nicht erst die Mühe macht zu erschließen, worüber er schreibt oder spricht. Es ernährt seine Frau und seinen Mann auch ohne solche Kinkerlitzchen wie Falsifizierbarkeit, das Abgleichen mit der Empirie, das Durchspielen und Überprüfen von Gedanken, das Verwerfen, das Neuansetzen, Abwägen etc.pp, also all das, was wissenschaftliches Arbeiten mühsam macht.
Hinsichtlich der “Jerusalem declaration on antisemitism” (JDA) hat Lars Rensmann kürzlich gezeigt, dass es sich um politaktivistischen “Output” handelt, der dann von im Thema weniger beschlagenen und/oder ideologisierten Journalisten öffentlich-rechtlicher Medien in Superlativen beworben werden kann. https://www.belltower.news/die-jerusalemer-erklaerung-eine-kritik-aus-sicht-der-antisemitismusforschung-116093/

Zu den jonglierten Begriffen gehören solche wie “Kontexte”, “Intentionen”, “Perspektiven” oder “Identitäten”. Antisemitismus wird in der JDA zur bloßen Diskriminierungsideologie und zum Vorurteil (v)erklärt. So verliert das auf Vernichtung zielende, verschwörungsideologische Welterklärungsmuster Antisemitismus seine Besonderheit. Dass die Verfasserinnen und Verfasser des Pamphlets weit hinter den seit Jahrzehnten erreichten Stand der Forschung zurückfallen, gegenüber der IHRA-Arbeitsdefinition mehr verunklaren als klären, mag einerseits dem politischen Charakter ihres Unternehmens geschuldet sein, weist andererseits aber auch auf eine Reihe begrifflicher Konfusionen auf Seiten der Verfasserinnen und Verfasser der JDA hin. (Warum auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die JDA unterzeichnet haben, deren Arbeiten bislang alles andere als politisch-ideologisch gefärbt gewesen sind, bleibt unverständlich.)

Zu “kontextualisieren” bedeutete für das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung bereits in der Beschäftigung mit Rechtsextremismus in der Vergangenheit immer nur: gute Gründe für schlechtes Verhalten finden! Es überrascht deshalb nicht, dass die Einrichtung seit zwanzig Jahren auch den islamischen und den linken Judenhass bagatellisiert. Doch den Begriff des “Kontexts” im Sinne von “Ursache”, “Grund” oder “Motiv” zu gebrauchen wie es auch die JDA tut, ist schlicht falsch. Denn ein Kontext ist buchstäblich einfach eine Textumgebung bzw. ein Textumfeld. Im übertragenen Sinne sind Kontexte Faktoren, Bedingungen, Umstände, Zusammenhänge etc.pp, die ein Ereignis, Fakten, Geschehen begleiten, umgeben, grundieren. Zwischen Text/Kontext bzw. Fakt/Zusammenhang bestehen keine ‘natürlichen’ Beziehungen, wissenschaftlich gesprochen: (Kor)Relationen, schon gar keine kausalen. Wenn aber der Zusammenhang, in den man ein Ereignis stellt, nicht einfach gegeben ist, die Beziehung zwischen beiden erst hergestellt werden muss, ist das begründungsbedürftig. Denn das Umfeld von Ereignissen ist potentiell unendlich und die entscheidenden Faktoren auszumachen, harte Arbeit. Der israelisch-arabische Nahost-Konflikt ist beispielsweise kein Kontext, in dem sich die Kriterien verändern könnten, wonach etwas antisemitisch ist oder nicht. Denn dieser über 100 Jahre alte Konflikt ist weder der “Grund” noch die “Ursache” für Antisemitismus. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Ohne Judenfeindschaft gäbe es diesen Konflikt entweder überhaupt nicht oder er wäre längst beigelegt worden. Anders als antisemitisch lassen sich die hartnäckigen Weigerungen der arabischen Seite, sämtliche Teilungspläne seit 1937 zu akzeptieren, den Staat Israel anzuerkennen und Verhandlungen zu führen, nicht deuten. Die Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien sowie die Abraham-Abkommen belegen, dass der Konflikt prinzipiell lösbar ist, wenn Panarabismus und Panislamismus, beides antisemitische Bewegungen und in der Vergangenheit für das Scheitern jeglicher Friedensinitiative verantwortlich, ihn nicht zuungunsten Israels am Leben erhalten.

“Intention” erhält in der JDA wiederum eine bloße Entlastungsfunktion. Als ob Absichten über Folgen entscheiden und Ergebnisse definieren würden! Es ist grotesk, den eindeutig antisemitischen Slogan “From the river to the sea, Palestine will/must be free” als Ausdruck einer Verhandlungsbereitschaft über eine künftige Zweistaatenlösung oder eine Konföderation umdeuten zu wollen. Wer diesen “Befreiungs”-Slogan gebraucht, hat die Vernichtung des Staates Israel im Sinn und das ist antisemitisch. Denn wenn die Bedeutung einer Rede ihr Gebrauch ist, der Slogan aber immer zur Vernichtung Israels aufgerufen hat, gibt es keinen ersichtlichen Grund, Sprechern urplötzlich eine andere Absicht unterzuschieben, nur weil sich das besser mit dem Wunschdenken der Verfasserinnen und Verfasser der JDA verträgt. Ist der antisemitische Code “Ostküste” urplötzlich lediglich eine rein geografische Beschreibung, nur weil man sie ebenso gut auch auf diese Weise verstehen könnte?! Das wäre reichlich absurd. Gewiss, die Boykott-Kampagne BDS hält den “Befreiungs”-Slogan bewusst im Vagen, so dass man sie auf Ostjerusalem und das Westjordanland beziehen könnte. Allein selbst wenn das so wäre, stellt sich die Frage, wieso es ein von Israelis befreites Palästina geben müsse, aber kein von Arabern befreites Israel. Die “Besetzung”, das heißt realiter der militärische Schutz der israelischen Staatsbürger in den jüdischen Siedlungen im Westjordanland, könnte in dem Moment enden, in dem die Palästinensische Autonomiebehörde willens und in der Lage wäre, Israelis vor Terrorattacken zu schützen. Das aber ist unrealistisch. Denn die Palästinensische Autonomiebehörde zahlt aus den internationalen Hilfsgeldern Renten an die Angehörigen verurteilter Terroristen. Wie will sie dann junge Menschen davon abhalten, Terrorkarrieren einzuschlagen?

Die “Perspektiven” der arabischen Bevölkerung in der einstigen osmanischen Provinz und im späteren britischen Mandatsgebiet Palästina dürften recht heterogen sein. Deshalb können “Perspektiven” auch kein Kriterium dafür sein, ob eine Äußerung, Handlung, Einstellung etc.pp antisemitisch ist oder nicht. Der altbekannte Umstand, dass es unterschiedliche Sichtweisen auf ein und dieselbe Sache gibt, setzt die Geltung ganz bestimmter Normen nicht außer Kraft: Sexualisierte Gewalt bleibt eine Handlung auch dann, wenn die von ihr betroffenen Kinder, Frauen oder Männer aus der “Perspektive” mancher Kulturwissenschaftler zu “Erlebenden” verniedlicht werden so wie die Beschneidung von Mädchen Genitalverstümmelung bleibt, auch wenn es ‘Wissenschaftler’ geben mag, die dafür freundlichere Worte finden. Für solche rhetorischen Taschenspielertricks gibt es im Übrigen den Begriff Euphemismus.

“Identitäten” können bei der Klärung der Frage, ob etwas antisemitisch ist oder nicht, gleichfalls keine Berücksichtigung finden. Denn erstens sind Identitäten immer eine höchst widersprüchliche, vorläufige und zeitlich wandelbare Angelegenheit und zweitens gibt es gerade bei dem Wort ‘palästinensisch’ keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass mit ihm vor den späten 1960er Jahren jemals die arabische Bevölkerung bezeichnet worden wäre. Der antike geografische Name “Palästina” ist griechisch-römisch, weder arabisch noch islamisch. Folglich kann es auch keine mit ihm verknüpfte arabische Ethnie oder Kultur geben und erst recht keine diesbezügliche, wie auch immer geartete “Identität”. Im Klartext: ein “palästinensisches Volk” hat es historisch nie gegeben. Der arabische Name für die entsprechende osmanische Provinz hieß ins Lateinische übertragen Cis- und Transjordanien. Und einen Staat namens Jordanien gibt es auf dem Territorium der ehemaligen osmanischen Provinz und dem späteren britischen Mandatsgebiet Palästina bereits. Einen zweiten arabischen Staat neben einem jüdischen zu begründen, haben die Interessenvertreter der arabischen Bevölkerung auf dem verbliebenen, in Rede stehenden Territorium seit 1937 und bis heute aber immer wieder abgelehnt. Und dies auf Kosten der arabischen Bevölkerungsteile, die nicht die Staatsbürgerschaft Israels besitzen.

Abschließend zum propagandistisch gebrauchten Begriff “Kolonialismus” im Zusammenhang mit dem Staat Israel. Schon ein ausgewiesener Antisemit wie der Mufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, sah in der jüdischen Einwanderung ein imperialistisches und koloniales Projekt. Am Charakter der fortlaufend wiederholten Propagandalüge hat sich bis auf den heutigen Tag nichts geändert. Richtig aber ist: Der Mandatsträger Großbritannien war – wie das zerfallende und besiegte Osmanische Reich – damals eine Imperial- und Kolonialmacht. Die seit den 1880er Jahren aus dem zaristischen Russland und Europa eingewanderten Juden waren hingegen weder das eine noch das andere. Erstens handelten sie weder im Auftrag der Staaten, aus denen sie ausgewandert waren noch zu deren Gunsten und erst recht nicht unter deren Schutz. Es gab somit kein “Mutter”- oder “Vaterland”, dessen Interessen die jüdischen Einwanderer vertreten oder begünstigt haben könnten. Zweitens wanderten im Zuge der Kultivierung und Urbanisierung der Region durch die jüdische Zuwanderung, die die von ihnen bewirtschafteten Territorien käuflich erworben hatten, auch viele Araber aus Ägypten, angrenzenden osmanischen Provinzen wie Syrien, dem späteren Libanon, Irak und Jordanien ein, denn die jüdische Zuwanderung hatte Arbeitsmöglichkeiten geschaffen. Es handelt sich bei der arabischen Bevölkerung in Israel, im heutigen Gaza und im Westjordanland mitnichten in toto um gleichsam indigene Völker mit angestammtem Territorium, denen durch eine einseitig jüdische Zuwanderung die Lebensgrundlage entzogen worden wäre. Im Gegenteil. Da die jüdischen Einwanderer weder Kolonisatoren gewesen sind noch die arabische teilweise ebenfalls eingewanderte Bevölkerung kolonisiert worden war, ist der vermeintlich antikoloniale Kampf, den sowohl der NS-Kollaborateur al-Husseini als auch die spätere palästinensische Nationalbewegung unter Jassir Arafat ausriefen, ein Etikettenschwindel und ein Mogelpaket, um die Weltöffentlichkeit und besonders die emanzipatorischen Bewegungen in der westlichen Welt für sich einzunehmen. Weder Terrorgruppen wie die Hamas und der Islamische Dschihad noch die PLO und die Fatah vertreten die legitimen Interessen der arabischen Bevölkerung an einem friedlichen Leben, an gerechter Chancenverteilung, an der Entwicklung einer zivilen Infrastruktur, die ihrer Jugend Möglichkeiten zur freien Persönlichkeitsentfaltung, zu Ausbildung, Berufen und Arbeitsplätzen bieten würden. Die ersten Schritte, die die Menschen in Gaza, in Ostjerusalem und im Westjordanland gehen müssten, bestünde in der Wahl von Interessenvertretern, die das Wohl der Menschen im Auge haben, für die sie zu sprechen und zu handeln sich anmaßen!