Können kann man schon, aber aus welchem Grund und zu welchem Zweck sollte man dies tun?
Diese Frage stellte sich in einer Diskussion über das Kollidieren von Antisemitismus und Feminismus. Mit Elvira Grözinger und Barbara Holland-Cunz hatte ich darüber per E-Mail debattiert. Elvira lehnt Vergleiche solcher Art als indiskutabel ab. Ich halte von ihnen wenig und begegne ihnen mit ausgesprochener Skepsis. Barbara findet Fragestellungen dieser Art grundsätzlich spannend und verweist dabei auf Adornos und Horkheimers Kritische Theorie sowie auf den unbestreitbar vorhandenen Hass sowohl auf Juden als auch auf Frauen unter Rechtsextremisten und Islamisten. Aber kann der Umstand, Hassobjekt beider Gruppen zu sein, Juden und Frauen einander ähnlich machen? Ist der Hass jeweils derselbe? Und drückt er sich auf vergleichbare Weise aus?
Die Tatsache, dass sämtliche Attentäter der letzten zwanzig Jahre – von 9/11 über Oslo und Utoya, Charleston oder Berlin bis hin zu Christchurch, Halle und Hanau – Juden- und Frauenhass miteinander verbanden, ist unübersehbar. In Oslo, Utoya, Charleston, Berlin, Christchurch oder Hanau war der Judenhass weniger offenkundig als bei 9/11 und Halle. Dennoch spielte er im Wertekorsett der nichtmuslimischen Attentäter eine Rolle. In ihren zunächst christlichen, später neuheidnischen, völkisch-rassistischen Verschwörungsfantasien nimmt er eine beachtliche Stellung ein. Der Glaube an einen angeblich geplanten “Bevölkerungsaustausch”, der mit “Überfremdung” und “Verunreinigung” beginnen und die eigene “Kultur” zum Verschwinden bringen würde, ist mit graduellen Unterschieden allen diesen Massenmördern gemeinsam, richtet sich gegen die Ordnungen liberaler Demokratien – mithin des heutigen Westens – und die sie repräsentierenden Juden, die das angeblich alles betreiben und kontrollieren würden. Islamisten und Rechtsextremisten, das ist richtig, teilen diesen Glauben. Judenhass und Frauenhass zählen fraglos zu beider Repertoire. Aber lässt das auf eine enge Verknüpfung beider Hassformen schließen? Aus meiner Sicht: Nein.
Es stimmt, dass vor allem Adorno in der “Dialektik der Aufklärung” und in den “Studien zum autoritären Charakter” Aversionen gegen Gruppen von Menschen der verschiedensten Art in Beziehung zum Antisemitismus setzte. Doch beruhten seine Überlegungen erstens auf Befragungen und nicht auf historischen Analysen, und gehörten die Befragten zweitens ähnlichen Milieus und Herkünften an. Die Idee, speziell Antisemitismus und Antifeminismus miteinander in Verbindung zu bringen, ist recht alt: Hans Mayer tat dies in seinem Buch “Außenseiter” (1975), als er die Darstellung von Juden, Frauen und Homosexuellen in der modernen Literatur untersuchte und ihre gesellschaftliche Randständigkeit bzw. ihren Ausschluss konstatierte. Doch ist literarische Reflexion etwas anderes als Empirie. Beide kann man nur miteinander verknüpfen, wenn man sie in ihren kulturhistorischen Kontexten erschließt. Über den zeitgenössischen Hass auf Juden, Frauen und Homosexuelle aber sagt es wenig bis nichts. Mayer übersah, dass Frauen zwar bis weit in die Moderne überwiegend aus der öffentlich-repräsentativen Sphäre ausgeschlossen waren, sofern sie nicht dem Ideal von Ehefrau, Mutter oder Jungfrau entsprachen, dass Frauen aber weder eine unterdrückte Minderheit noch eine homogene Gruppe darstellten, geschweige denn, dass man sie als solche aus der Welt zu schaffen wünschte. Homosexuelle, vor allem männliche, störten die als natürlich betrachteten Geschlechtervorstellungen und Familienbilder, ließen sich aber abseits der öffentlichen Sphäre im Privatleben gut integrieren. Die Idee gesellschaftlicher Inklusion konnte überhaupt erst im 20. Jahrhundert aufkommen, nachdem Demokratisierung, Gleichberechtigung und Gleichstellung als politisch-rechtlich erwünscht und peu a peu garantiert worden waren.
Shulamit Volkovs Konzept vom Antisemitismus als “kulturellem Code” zeigte recht gut, wie ein Ensemble aversiver Gefühls- und Gedankenwelten im christlich-konservativen und nationalliberalen Milieu des jungen deutschen Kaiserreichs miteinander verschmolz. Nur ließ sich das weder auf andere historische Epochen übertragen noch bekommt man mit Volkovs Untersuchungen andere zeitgenössische Milieus in den Blick. Ferner war der Feminismus eine Angelegenheit auch politisch konservativer und liberaler, nicht nur linker Frauen. Antisemitismus aber ließ sich in allen Milieus feststellen. Wer sich für die Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen einsetzte, konnte dessen ungeachtet zugleich Juden hassen. Das gilt im Übrigen auch für die aktuelle Genderforschung. Die Arbeiten von Jasbir Puar sind dafür ein Beispiel https://de.wikipedia.org/wiki/Jasbir_Puar Die Schnittmengen zwischen Frauenhass und Judenhass bringen, obgleich vorhanden, beide Phänomene weder zur Deckung noch lässt das Fehlen bzw. Vorhandensein des einen auf das Fehlen bzw. Vorhandensein des anderen schließen.
Volkovs Konzept vom Antisemitismus als “kulturellem Code” ist brauchbar, nur eben nicht als Bündel konservativer oder nationalliberaler Aversionen, sondern als Spezifikum kulturhistorisch tradierter und verfestigter Gefühls- und Gedankenwelten, die sich in allen, auch progressiven Milieus finden lassen, allen voran in den gebildeten. Monika Schwarz-Friesel bot darüber in einem ihrer jüngsten Vorträge einen Überblick https://www.youtube.com/watch?v=Ou7npTjEe34.
Jenseits moralischer Urteile wie gut, schlecht, schlimmer oder besser, ist Hass nicht gleich Hass. Frauen bilden keine Juden vergleichbare “Schicksals”gemeinschaft. Hass als das mit Abstand feindseligste aller ablehnenden Gefühle erfüllt dessen ungeachtet verschiedene soziale Funktionen. Es kommt auf diese Funktionen, auf die Dauer und auf die Ausdrucksformen von Hassgefühlen an. Auch die Vermischung mit anderen Gefühlen wie Wut, Zorn, Neid etc. und ihre jeweils greifbaren Folgen sind entscheidend. Inzwischen ist es in Debatten leider üblich geworden, jede Form von Ablehnung und jede Form von Ein- oder Widerspruch, von Ausschluss oder Zurückweisung als Hass zu bezeichnen. Das ist erstens Unfug und verunmöglicht zweitens wichtige Debatten über Antisemitismus, politischen Islam, Migration und Formen eines gedeihlichen gesellschaftlichen Zusammenlebens von Individuen gleich welcher Herkunft, politischer Überzeugungen oder Interessen. Hass zielt oft, aber keineswegs immer auf Vernichtung dessen, der gehasst wird. Wenn Partner, die einander verbunden waren, sich trennen, hassen sie sich manchmal eine Weile, ohne einander vernichten zu wollen. Das ist nicht dramatisch. Etwas anderes ist es, wenn eine Frau von ihrem aktuellen oder ehemaligen Partner gestalkt, geschlagen, genötigt, vergewaltigt etc. wird. Sämtliche Formen sexualisierter Gewalt und des Machtmissbrauchs zählen dazu. Verhaltensweisen wie diese gehören öffentlich debattiert und sanktioniert. Und dies auch dann, wenn ein Mädchen oder eine Frau ihr Selbstbestimmungsrecht in Anspruch nimmt und sich daraufhin den Hassreaktionen ihres sozialen Umfelds und sogar Bedrohungen an Leib und Leben ausgesetzt sieht, weil tradierte Geschlechtervorstellungen weibliche Autonomie ausschließen. Auch wenn Frauenhass in der christlich geprägten, inzwischen weitgehend säkularen Welt bis heute eine Rolle spielt, so trifft sie Frauen als Individuen und nicht als Kollektiv. Die historischen Hexenverfolgungen waren lokal und zeitlich begrenzt und ihre Bedingungen sind gut erforscht. Der islamistische Frauenhass ist wiederum das Produkt einer gegenaufklärerischen Moderne im 20. Jahrhundert, wo er sich mit Judenhass paart, um den Westen abzuwehren. Zwar treffen Rollen- und Kopftuchzwang die Frauen etwa im Iran heute ebenfalls kollektiv, aber hier zielt der Frauenhass auf Unterordnung, nicht auf physische Vernichtung.
Judenhass dagegen beruht nicht auf sozialen Beziehungen, auf keinem Geschlechterverhältnis und keiner politisch-gesellschaftlichen Konstellation. Seine Wirkmächtigkeit rührt nicht nur aus einer jahrtausendlang tradierten, sondern auch immer aufs Neue angepassten Fiktion jüdischer Verschwörung, Menschenfeindschaft, politischer und wirtschaftlicher Macht. Zu diesen Fiktionen zählt im Übrigen auch die aktuell debattierte kunsthistorisch-religiöse Darstellung einer angeblichen Rivalität des Judentums mit dem Christentum wie sie sich in Figuren der überwundenen blinden Synagoge gegenüber einer triumphierenden, weil siegreichen Ecclesia ausdrückt https://de.wikipedia.org/wiki/Ecclesia_und_Synagoge, https://www.br.de/nachrichten/bayern/zentralrat-kein-verstaendnis-fuer-antijuedische-dom-figuren,ScVmcGq. Tatsächlich hat das Judentum nicht mit dem Christentum um eine Vorherrschaft gekämpft, sondern haben die Kirchen den jüdischen Glauben als überholt und unvollkommen abgewertet. Auch durch Mission suchten Kirchenvertreter das Judentum zum Verschwinden zu bringen.
Vom Judenhass sind Individuum und Kollektiv immer gleichermaßen betroffen. Pogrome, Verfolgungen und später die Shoah zielten auf die globale Vernichtung des Judentums als solchem. Judenhass war und ist lokal und temporär nicht eingrenzbar und lässt sich durch das Verhalten von Juden nicht besänftigen, weshalb es für Juden unmöglich ist, sich anzupassen bzw. sich innerhalb eines Rollenrepertoires zu bewegen, dass es ihnen erlauben würde, vom Judenhass verschont zu bleiben.
So viel auf die Schnelle zum Unterschied zwischen Frauen- und Judenhass. Beide miteinander zu vergleichen, erscheint mir nicht sinnvoll, weil kein Erkenntnisgewinn zu erwarten ist.