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Was kann man heute rasch über den Kommunismus in Erfahrung bringen?

Eine Menge. Ich habe nur wenige Stunden recherchiert und bin auf eine Fülle ausgezeichneter Dokumentationen und Diskussionsrunden in den Öffentlich-Rechtlichen gestoßen. Jüngere Menschen lesen kaum Bücher (manche ältere auch nicht!). Das kann man bedauern, aber weder leicht noch schnell ändern. Um so wichtiger ist es, dass die Medien ihrem Bildungsauftrag nachkommen. Was ZDF, Phoenix oder Arte an Aufklärung zum Thema bieten, kann sich hören und sehen lassen.

Das ZDF brachte 2017 eine sehenswerte zwölfteilige Doku über “Aufstieg und Fall des Kommunismus”, die noch abrufbar ist. Weil der Stalinismus im Osten, genauer: der DDR, so wenig aufgearbeitet wurde wie der Nationalsozialismus, man sich im Westen offiziell nur zu Propagandazwecken um ihn scherte, ist es heute wichtiger denn je, sich mit beidem zu befassen, dem Nationalsozialismus und Faschismus auf der einen, dem Kommunismus auf der anderen Seite. Denn die Systemkonfrontation blockierte die Auseinandersetzung mit beidem.

Über Winston Churchill gibt es gewiss viel Kritisches zu sagen, aber eben auch, dass er einer der wenigen westlichen Politiker gewesen ist, die Adolf Hitler und Josef Stalin von Anfang an richtig einschätzten und entsprechend handelten. Nach dem Überfall Nazi-Deutschlands – trotz des Hitler-Stalin-Pakts vom August 1939 – auf die Sowjetunion im Juni 1941, scheute sich Churchill nicht, mit Stalin in einer Anti-Hitler-Koalition zu kooperieren. Umgekehrt mit Hitler gegen Stalin zusammenzugehen, wäre ausgeschlossen gewesen, weil Churchill Hitlers “Mein Kampf” gelesen hatte und klug genug gewesen ist, Hitlers Ankündigungen  ebenso ernst zu nehmen wie sein faktisches Handeln. Nach dem Sieg über Nazi-Deutschland warnte Churchill wiederum zu Recht vor Stalins Einfluss und vor seiner Machtgier.

An einer Stelle fällt in der ZDF-Doku eine richtige und wichtige Bemerkung: Stalins Todfeind hieß im Jahr 1940 Leo Trotzki und eben nicht Adolf Hitler! Trotzki war der Prototyp des “jüdischen Bolschewik”, den Hitler wie Stalin gleichermaßen hassten und vernichten wollten. Man erfährt in der Doku, weshalb die Zahl sowjetischer Opfer von Hitlers Vernichtungskrieg so außerordentlich hoch gewesen ist. Neben dem mörderischen Hass, der Brutalität und dem Vernichtungswillen von deutscher Wehrmacht und SS waren es leider auch Stalins Fehlentscheidungen und die Unmenschlichkeit seiner Befehle, die unter Rotarmisten und sowjetischer Zivilbevölkerung so viele, manchmal vermeidbare Todesopfer forderten.
Stalin war kein “Betriebsunfall” in der Geschichte des Kommunismus. Seine Methoden waren lediglich einer ihrer grausamsten Höhepunkte. Begonnen hatten Terror, Lügen und Menschenverachtung mit und unter Lenin. Sei es die Oktoberrevolution, die so, wie ich es im Schulunterricht gelernt hatte, nicht stattgefunden hat. Sei es die Ausschaltung anderer ‘progressiver’ Akteure – Menschewiki, Sozialrevolutionäre, Anarchisten -, denn die Bolschewiki waren nur eine recht kleine Minderheit, die sich im Oktober 1917 an die Macht putschte. Schon deshalb lag der anschließende Terror aus Gründen des Machterhalts in der Natur der Sache. Sei es die physische Vernichtung angeblicher “Konterrevolutionäre” und “Feinde des sowjetischen Volkes”, zu denen jede und jeder werden konnte, die oder der nicht den Normen der Bolschewiki und später der Kommunistischen Partei entsprach. Und dies über Jahrzehnte. Der hervorragende ARTE-Dreiteiler “GuLag – die sowjetische ‘Hauptverwaltung der Lager'” informiert faktenreich darüber, dass das System der Straf- und Konzentrationslager keine Erfindung Stalins gewesen ist, der es lediglich ausbaute und perfektionierte.

Weshalb ich überhaupt zu recherchieren begonnen hatte? Weil ich erstens den Eindruck habe, dass solche Grundkenntnisse hierzulande nicht zum Allgemeinwissen zählen, und weil ich zweitens so mancher Debatte entnehme, dass nicht wenige Menschen den liberalen Demokratien nachhaltig verübeln, in der Systemkonfrontation den längeren Atem gehabt zu haben. Vielleicht muss man Psychologe sein, um diese politische bêtise aus Schadenfreude und Genugtuung richtig einzuordnen, mit welcher manche Zeitgenossen aktuelle Angriffe auf den Westen quittieren. Ich verstehe, dass zunächst die antibolschewistische Nazipropaganda, später der Antikommunismus im Kalten Krieg lange nachwirkten. Doch beidem geht auf den Leim, wer heute noch immer das scheinbare Gegenteil vom Gegenteil anbetet, entschuldigt oder rechtfertigt. Einen guten Grund, in andere ideologische Fallen zu tappen – die Ostdeutschen taten dies nach 1945, die Neue Linke im Westen 1968 – gibt es heute erst recht nicht.