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Neujahrsnächte

Seit zwei Jahren wünsche ich mir vergeblich, es möge in der Neujahrsnacht ausdauernd Bindfäden regnen, schütten wie aus Eimern, Jahrhundertwolkenbrüche geben. Ob meine Hoffnung, es würde die massenhafte Privatböllerei in den städtischen Straßenzügen unterbinden, überhaupt in Erfüllung ginge, ist zugegeben fraglich. Ein vielfarbiges, von Profis veranstaltetes Feuerwerk um Mitternacht an einem zentralen Platz, das alle, die es wollen, sehen können, sollte genügen.
In den Niederlanden, heißt es in den Nachrichten, haben die Leute das Böllerverbot einfach ignoriert. Klar, es genügt nicht, ein solches Verbot zu erlassen, es müßte auch wer durchsetzen können. Verbietet man in einem Land den Verkauf von Feuerwerkskörpern, besorgen sich die Leute das Zeug aus einem anderen. Gerade 2020 und 2021, als der Verkauf von Böllern verboten gewesen ist, trieben es die Knalltüten in meinem Wohnumfeld am heftigsten. Vom frühen Nachmittag an bis weit in den nächsten Morgen fast ununterbrochen. Obwohl sich in den unteren Stockwerken meines Hauses ein Seniorenheim und schräg gegenüber eine Kirche befindet, in deren Nähe das Böllern ja angeblich untersagt sein soll.
Wie man die Leute dazu veranlassen könnte, ihr Geld an Silvester lieber in gutes Essen, auserlesene Köstlichkeiten und hochwertige Getränke zu investieren, weiß ich nicht. Asketen könnten, wie eine Freundin vorschlug, auch für irgendeinen guten Zweck spenden. Böllerverbote scheinen jedenfalls nichts zu bringen.
Dabei könnte ich mich mit bestimmten Regelungen durchaus arrangieren. Wenn beispielsweise die Leute, die es um jeden Preis wollen um Mitternacht plus eine halbe Stunde – und nur dann – ein paar Böller zünden würden, wäre vielen schon geholfen. Ärzte müssten weniger Menschen mit Verbrennungen, zerfetzten Gliedmaßen oder anderen festbedingten Verletzungen versorgen, Kleinkinder, Kranke, Kriegstraumatisierte, Tiere drinnen und draußen weniger leiden, Rettungskräfte und Feuerwehrleute seltener ausrücken, Polizisten könnten sich entspannt auf diese halbe Stunde konzentrieren, die Straßen- und Parkreinigung hätte weniger Müll wegzuräumen, von der Umweltentlastung ganz zu schweigen etc.pp
Nun besagt es nicht viel, dass ich, die Leute aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis entweder überhaupt nicht oder nur wenig böllern, wenn andere das mit – aus meiner Sicht zweifelhaftem – Vergnügen ausdauernd tun. Altes und massenhaft gepflegtes Brauchtum ist die Silvesterknallerei schon deshalb nicht, weil sich die gegenwärtig betriebene Privatböllerei vor hundert umd mehr Jahren kaum so furchtbar viele Leute leisten konnten. Heute offenkundig fast alle.
In vielen Städten hat es letzte Nacht Brände, Angriffe auf Rettungskräfte, Feuerwehrleute, Polizisten, Schlägereien, Verletzungen von Menschen und Sachschäden gegeben. Allein die Bilanz in Berlin ist erschreckend: 100 Festnahmen, über 80 Brände gleichzeitig, eine zweistellige Zahl verletzter Einsatzkräfte. Die Gewerkschaft der Polizei fordert ein Böllerverbot, weil Pyrotechnik inzwischen als Waffe gegen Menschen verwendet wird.
Ja, wenn es sich durchsetzen ließe, würde ich ein privates Böllerverbot befürworten. Doch wer sollte das wie kontrollieren können? Eben! Ich glaube nicht, dass das funktionieren würde. Wir haben ein Jahr Zeit für Ideen.
Ein gutes, vor allem gesundes Jahr 2023!