Die Neuköllner Integrationsbeauftragte Güner Balci versucht, in der Öffentlichkeit eine sinnvolle Differenzierung zwischen Migranten und Migranten, Integrierten und (Des)Integrierten durchzusetzen: Für viele, vor Jahrzehnten eingewanderte Bewohner Neuköllns sind die Gewalttäter der letzten Neujahrsnacht eine längst nicht mehr hinnehmbare Zumutung und tägliche Plage, mit der sie zu Recht nicht in einen Topf geworfen werden wollen. Viele fordern eine rasche und harte Bestrafung der Täter.
Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt. Mit Projekten und Initiativen von und für türkische Väter wie jene von Kazim Erdogan oder den Stadtteilmütterprojekten versuchten die Bewohner der Sache Herr zu werden. Nicht umsonst heißt das von der Jugendrichterin Kirsten Heisig in den Nullerjahren initiierte Konzept einer wirksamen Strafverfolgung jugendlicher Intensivtäter “Neuköllner Modell”. Seit den 1990er Jahren befasst sich Ralph Ghadban professionell mit arabischen Clanstrukturen und dem politischen Islam. Auch seine Expertise lieferte Ansätze für Gegensteuerung. Zur Neuköllner Silvesternacht bemerkte er, dass sich die zuletzt eingewanderten jungen Männer in genau das bereits bestehende Kiezmilieu integriert hätten, das die heutige Integrationsbeauftragte und ihre Mitstreiter seit zwanzig Jahren bekämpfen und aufzubrechen versuchen. Heinz Buschkowsky, der frühere Bezirksbürgermeister, der immer Klartext sprach und sich dafür als “Rassist” beschimpfen lassen musste, hat viel Zukunftsweisendes angestoßen und ermöglicht.
Doch die Senatspolitik hat – wie die Bundesebene – die Partnerschaft mit dem politischen Islam in Gestalt der Islamverbände gesucht, wie Ralph Ghadban konstatiert. Unvergessen ist der Schulterschluss des damaligen Berliner Bürgermeisters Michael Müller (SPD) mit vom Verfassungsschutz beobachteten Islamvereinen am Breitscheidplatz im März 2017 zum Gedenken an den Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt einige Monate zuvor. Die islamistische Neuköllner Begegnungsstätte, die seit 2007 das Leben im Kiez mitbestimmt, war durch ihren Imam Mohamed Taha Sabri mit von der Partie. Daraufhin trat der Neuköllner Sozialdemokrat Erol Özkaraca, der den politischen Islam und seine Einflüsse innerhalb der Berliner SPD aufs Schärfste kritisiert hatte, aus der Partei aus.
Natürlich gibt es Zusammenhänge zwischen mangelnder Integration(sbereitschaft) in westliche Gesellschaften und dem Islam, ohne dass beides identisch wäre. Weil patriarchale Gesellschaften und der Islam einander stützen. Die hierzulande von der Politik geförderten Islamverbände fordern Muslime nicht gerade zum selbstkritischen Umgang mit ihrer Religion heraus.
Genau diese Schnittstelle im Alltagsleben bearbeitete eine Neuköllner Initiative. Der Verein für Demokratie und Vielfalt (DEVI) hatte 2021 in Neukölln ein Pilotprojekt zur Untersuchung von Fällen gestartet, in denen muslimische Lehrerinnen und Mädchen beschimpft wurden, weil sie kein Kopftuch trügen, Frauen in Supermärkten angegangen wurden, weil sie Schweinefleisch kauften, Nichtmuslime gemobbt wurden, weil sie nicht rechtgläubig wären, Lehrerinnen und Lehrer zurechtgewiesen wurden, weil ihre Pausenbrote mit Leberwurst bestrichen waren und sie deshalb unreine Menschen wären, in denen handfester Rassismus gegen andere Minderheiten gepredigt und ausgeübt wurde usw. Das Ganze hieß – zugegeben etwas bürokratisch – “konfrontative Religionsbekundung” und dürfte ein Phänomen sein, das nach großer Zuwanderung aus islamisch geprägten Ländern eher noch an Relevanz gewinnt. Die Ergebnisse gaben Einblicke in den Lebens- und Schulalltag und lieferten Anhaltspunkte dafür, wo und wie Präventionsarbeit ansetzen muss. Weil das Projekt jedoch politisch nicht von allen gewollt war, wurde es nicht weitergefördert. Der Verein bittet auf seiner homepage um Spenden, damit die wichtige Arbeit fortgeführt werden könne.
Wenn maßgebliche Teile der Berliner Politik, die ja die relevanten Entscheidungen trifft – beispielsweise über die Frage, wie intensiv man Clan-Kriminalität bekämpfen will – und der Verwaltung, die ja die Förderung von Vereinen und Projekten beschließt, den täglichen Anstrengungen auf Bezirksebene ausdauernden Widerstand entgegenbringt, kommt halt eine Neuköllner Silvesternacht mit Gewaltattacken auf Polizei, Feuerwehrleute und Sanitäter heraus. Wer Vereine (Neuköllner Begegnungsstätte), Projekte und Veranstaltungen des politischen Islam fördert, stärkt den Hass auf Juden und den Westen, Frauenverachtung, fragwürdige Ehr- und Schamkulturen, Homophobie und männliches Gewaltverhalten.
Das ist überall in Europa so, nicht nur in Deutschland, nicht nur in Berlin, nicht nur in Neukölln.
Da nützt es nichts, eine der wahrscheinlich kompetentesten Integrationsbeauftragten in diesem Land zu haben. Nichts, seit Jahrzehnten gute Projekte und Experten zu haben, die wissen, wovon sie reden und wo genau der Schuh drückt. Wenn ihre Arbeit, ihre Einschätzungen, Befunde, Warnungen so hartnäckig in den Wind geschlagen werden, ignoriert und durch falsche Entscheidungen – zuletzt durch die Personalie Ferda Ataman – konterkariert werden, nehmen die Folgen solcher Fehlschlüsse ihren fatalen Lauf.
Allein, dass eine Karriere wie diejenige des Rappers Bushido, der all das verkörpert, was in der Neujahrsnacht auf vielen Großstadtstraßen hierzulande an Gewaltexzessen zu besichtigen gewesen ist, in Deutschland überhaupt möglich war, ist beredt. Der hochkriminelle Mann und seine Geschäfte waren eng verquickt mit dem hochkriminellen Abou-Chaker-Clan und zuletzt mit dem hochkriminellen Remmo-Clan. Bushido wurde ein hochkarätig (u. a. Moritz Bleibtreu, Hannelore Elsner) besetzter Film von Uli Edel und Bernd Eichinger mit dem Titel “Zeiten ändern dich” (2010) gewidmet und 2011 der Bambi-Integrationspreis verliehen. Und dann wundert man sich über seine Funktion als Role Model für die Neuköllner Kiezjugend?!
Es wird langsam Zeit, dass sich die Zeiten ändern. Im Bund und in den Ländern.