Morgens höre ich nach wie vor das Deutschlandfunk-Nachrichtenformat. Kommt drauf an, wer moderiert, aber bezüglich der Verteidigungsoffensive der israelischen Armee (IDF) hat sich der Wind dort inzwischen merklich gedreht. Seit Wochen wird in detaillierter Ausführlichkeit über das „Leid“ der arabischen Palästinenser berichtet, als hätten sie nicht das Geringste mit der unhaltbaren Situation im Gaza-Streifen zu tun, in der sie sich heute befinden. Das mag im Einzelfall sogar stimmen, wie es eben stimmte, dass zwischen 1933 und 1945 nicht alle Deutschen Nazis und nicht alle mit der NS-Judenvernichtung einverstanden gewesen sind.
Anders als damals gibt es heute allerdings Umfragen, die belegen, dass ein Großteil der arabischen Palästinenser im Gaza-Streifen die Mordorgie der Hamas an israelischen Zivilisten am 7. Oktober 2023 richtig fand und findet. Im Deutschlandfunk nimmt derlei offenkundig nicht zur Kenntnis. Auch nicht die Tatsache, dass viele Israelis ihr Zuhause im Süden und im Norden des Landes verlassen mussten. Dass übrigens viele Frauen im Gaza-Streifen die Hamas aktiv unterstützen, ist seit dem Dokumentarfilm „Soldatinnen Gottes, Die Frauen der Hamas“ von Suha Arraf aus dem Jahr 2010 belegt, der sich anzusehen lohnt. Ohne israelischen Pass hätte die arabische Regisseurin diesen Film wahrscheinlich nicht machen können.
Im Deutschlandfunk scheint all das nicht bekannt zu sein. Immerhin lief Arrafs Doku seinerzeit auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Im Deutschlandfunk sind die arabischen Palästinenser wieder ausschließlich hilfsbedürftige Opfer, während Israelis wieder zu Tätern geworden sind, die erstens unausgesetzt neue Vorwände zu suchen scheinen, um die Palästinenser zu quälen und leiden zu lassen, und die zweitens ständig den stereotyp beschworenen nahöstlichen „Flächenbrand“ entfachen, als wären es nicht seit Jahrzehnten die arabischen Palästinenser in Gestalt von PLO, Hamas und Islamischem Dschihad oft in Verbindung mit der vom Iran finanzierten Hisbollah gewesen, die regelmäßig mörderische Terrorattacken auf Israelis verüben, Terrortunnel errichten – während oben zerbombte Gebäude als Trümmer-Kulissen und stumme Anklagen gegen Israel für westliche Journalistenaugen stehenbleiben -, Felder in Brand setzen und Raketen auf Israel abfeuern. Wenn jemand einen “Flächenbrand“ in Nahost entfacht hat, dann waren es die Araber und im jüngsten Fall einmal mehr die Hamas. Im Deutschlandfunk kommt dieser ganze Kleinkram – und sei er noch so genozidal – selten bis gar nicht vor.
Dort geht es meist um Wesentlicheres. Sei es, dass ein Deutschlandfunk-Moderator von den so schwer leidgeprüften Palästinensern spricht, sei es dass eine Moderatorin im Modus des Konjunktivs von den durch die IDF dokumentierten Tunnelsystemen redet, als handle es sich um möglicherweise nicht auszuschließende bloße Propaganda, sei es, dass eine wieder andere Moderatorin die gezielte Tötung von Hamas-Führer Saleh al-Aruri in Beirut einen „Mord“ nennt. Käme jemand auf die Idee, das Attentat auf Reinhard Heydrich 1942 in Prag als „Mord“ am Leiter des Reichssicherheitshauptamts und am Organisator der Wannseekonferenz zu qualifizieren? Wären Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Hermann Göring und vor allem Heinrich Himmler, Reinhard Heydrich und Adolf Eichmann im Sommer 1941 gezielt getötet worden, hätte es mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Shoah gegeben und wäre der Zweite Weltkrieg früher beendet worden. Das nimmt den Rest der Nazi-Clique, die gesamte deutsche Beamtenschaft vom Eisenbahner bis zum Professor und die deutsche Zivilbevölkerung nicht aus der Pflicht, verdeutlicht aber, dass es personelle Verantwortlichkeit gibt und jeder einzelne Mensch für sein Tun und Handeln einzustehen hat.
Als Interviewpartner hört man im Deutschlandfunk neuerdings wieder öfter Michael Lüders, Aleida Assmann, Muriel Asseburg oder Kristin Helberg, deren verlogene Palästinasolidarität weithin bekannt ist. Verlogen ist sie, weil sie erstens mit realen arabischen Palästinensern wenig zu tun hat, es um sie überhaupt nicht geht, und weil zweitens die Solidarität all jenen gilt, die sich mit jüdischer Selbstbestimmung und Souveränität in Gestalt des Staates Israel schwertun. Im Medien-, Kultur-, Politik- und Wissenschaftsbetrieb betrifft das leider nicht wenige. Und da sie in den Öffentlich-Rechtlichen häufig zu Wort kommen, muss sich niemand über das Israel-Bild wundern, dass hierzulande in den Köpfen vieler Menschen herumgeistert, und auch nicht darüber, weshalb sich so wenig Menschen für proisraelische Solidaritätskundgebungen mobilisieren lassen.
Ja, die Siedler und ihre Gewalt im Westjordanland stellen die Israelis vor Probleme, spielen aber eine untergeordnete Rolle und haben mit dem von der Hamas am 7. Oktober begonnenen Gaza-Krieg nichts zu tun. Die israelische Regierung und die Geheimdienste, die IDF-Kräfte im Westjordanland banden und interne Warnungen ignorierten, tragen die Verantwortung dafür, dass am 7. Oktober im Süden Israels Militär und Sicherheitskräfte fehlten, um das Abschlachten der israelischen Zivilisten durch die Hamas zu verhindern oder binnen kürzester Zeit zu beenden. Ermordet wurden – aber das nur nebenbei – ausgerechnet Israelis, die sich seit Jahr und Tag für die Verständigung mit arabischen Palästinensern einsetzen, die Freundschaften mit arabischen Palästinensern pflegten, die ihnen halfen, wo sie konnten.
Die arabischen Palästinenser leiden seit über 75 Jahren darunter, dass es zu wenige unter ihnen gibt, die die Existenz des Staates Israel akzeptieren und respektieren. Das ist auch deshalb bitter, weil sich nur eine Handvoll fähige Führungskräfte hätten finden oder herausbilden lassen müssen, damit aus dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland zumindest im Ansatz all das hätte werden können, was die Israelis unter ungleich schwierigeren Bedingungen geschaffen haben. Der 7. Oktober dürfte die Aussicht auf ein gedeihliches MITEINANDER von Israelis und arabischen Palästinensern endgültig zunichte gemacht haben. Zumindest vorerst. Was aus dem Gaza-Streifen, der vor fast zwanzig Jahren noch unendliches Potential für eine friedliche Entwicklung geboten hat, in naher Zukunft wird, steht in den Sternen. Dass Israel schon aus existentiellen Gründen die militärische Kontrolle behalten wird und muss, steht jetzt schon außer Frage. Würden die Israelis das Westjordanland räumen, entstünde dort binnen kürzester Zeit ein zweites Gaza.
Wieso die Führer von Hamas und Palästinensischer Autonomiebehörde und ihre Kinder Millionäre, teils sogar Milliardäre sind, ohne je einen Finger krumm gemacht, eine zündende Idee entwickelt oder sinnvolle Verhandlungen mit Israel geführt zu haben, kann sich jeder ausmalen, der um die regelmäßigen Hilfsleistungen der internationalen Staatengemeinschaft weiß. Dass weder Hamas noch Mahmud Abbas ein Interesse daran haben können, an diesen für sie lukrativen Bedingungen etwas zu ändern, leuchtet jedem ein, der das Geschäftsmodell durchschaut. Das war übrigens schon bei Jassir Arafat nicht anders und erklärt ganz gut, weshalb er wie später Abbas sämtliche territorialen Angebote Israels für die Gründung eines Staates namens Palästina ausgeschlagen hat. Außerdem hätten Arafat wie Abbas die Preisgabe Palästinas „vom Fluss bis zum Meer“ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Leben gekostet. Man redet seinem „Volk“ nicht jahrzehntelang einen inexistenten Anspruch auf das ganze Palästina ein, um anschließend auf das halbe zu verzichten, ohne in der Publikumsgunst unendlich tief zu fallen und der Hamas den Weg nach oben zu ebnen. Revolutionsführer spielen und später den „Staatsmann“ auf internationalen Bühnen zu geben, ist das eine, für eine sich wirtschaftlich selbst tragende und funktionierende zivile Infrastruktur zu sorgen, das andere. Das hätten die Arafats dieser Welt wollen müssen. Und die Abbas‘ und Hamas-Führer auch.
Und da das Geschäftsmodell von Abbas, Hamas & Co im globalen Süden verbreitet ist, wird sich an den Lebensbedingungen der Menschen dort und an der Solidarität mit den arabischen Palästinensern so schnell leider nichts ändern. „Leider“ deshalb, weil ihnen das seit Jahrzehnten nichts genützt hat und schlecht bekommen ist.
Warum sich allerdings so viele Journalisten im Deutschlandfunk weigern, das zu verstehen, mögen andere beantworten. Für hohe Standards und Qualität spricht es jedenfalls nicht.