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Wenn Judenhass aus den Universitäten kommt, hilft Bildung nicht weiter, oder?

Am Freitag vor einer Woche wurde der jüdische Student Lahav Shapira am Rosenthaler Platz in Berlin Mitte von einem arabischen Studenten, einem Kommilitonen von der Freien Universität Berlin, krankenhausreif geschlagen. Weil er Jude ist. Unvermittelt und brutal. (https://www.juedische-allgemeine.de/israel/er-trat-mir-ins-gesicht/; https://www.juedische-allgemeine.de/politik/angriff-mit-ansage/). Jüdische Studenten berichten bundesweit von antisemitischen Übergriffen, die sie sich seit dem Terrorangriff der Hamas auf den Süden Israels am 7. Oktober 2023 – kurz 7/11 genannt – vervielfachten und offensiver geworden sind, aber schon seit vielen Jahren zunehmen. An der Berliner Hochschule der Künste versetzten Mitte November propalästinensische Aktivisten jüdische Studenten in Angst und Schrecken: Schwarzgekleidete Performer mit rot gefärbten Händen und Unterarmen riefen Erinnerungen an den Lynchmord  an zwei israelischen Soldaten durch einen arabischen Mob im Westjordanland im Jahr 2000 wach (https://taz.de/Kulturkampf-an-den-Hochschulen/!5973749/). Vier Wochen später besetzten um die einhundert Studenten einen Hörsaal an der Freien Universität Berlin, brüllten antizionistische Parolen, bezichtigten Israel des „Genozids“ an den Palästinensern und hinderten jüdische Studenten gewaltsam am Zutritt (https://www.berliner-zeitung.de/news/studenten-und-palaestina-aktivisten-besetzen-hoersaal-der-fu-berlin-li.2168508). Außerdem wurden Anti-Israel-Aktivisten gegen über jüdischen Studenten handgreiflich, die Bilder der von der Hamas verschleppten israelischen Geiseln aufhängten. Später kursierten in den sozialen Medien Fotos von den angegriffenen jüdischen Studenten. In den Augen der Judenhasser bestand ihr Vergehen darin, sich gegen die Übergriffe gewehrt zu haben. Inzwischen hat sich auch an der Berliner Humboldt-Universität der Israelhass lautstark gezeigt, als antiisraelische Aktivisten am 7. Februar in einem Hörsaal eine  Diskussionsveranstaltung über Verfassungsstaatlichkeit sprengten, an der auch eine israelische Richterin teilgenommen hatte (https://www.juedische-allgemeine.de/politik/anti-israel-aktivsten-bruellen-israelische-richterin-nieder/).

 

Solche antiisraelischen Exzesse wie in den vergangenen Monaten in Berlin hat es an deutschen Universitäten zuletzt vor über fünfzig Jahren gegeben.  Damals machten der Sozialistische deutsche Studentenbund gemeinsam mit der Generalunion palästinensischer Studenten gegen Auftritte von Asher Ben-Natan, seinerzeit israelischer Botschafter in der Bundesrepublik, und Abba Eban, seinerzeit Israels Außenminister, mobil und hinderten die Israelis am Reden. Doch wurden damals keine jüdischen Studenten zusammengeschlagen oder körperlich bedrängt. Mit ein paar Ausnahmen, die man an einer Hand abzählen kann, standen weder Professoren und Dozenten noch Journalisten an der Seite der antisemitischen Krakeeler. Das ist heute ein bisschen anders und das hat seine Gründe.

Viele der 68er Studenten wurden später Professoren, Lehrer und Journalisten. Und nicht alle blickten wie Götz Aly oder Joschka Fischer selbstkritisch auf ihre Jugend- und Studienjahre zurück und passten ihre Ansichten zu Israel der Wirklichkeit an. Ihre Schüler und Studenten wurden die heutigen Lehrer, Professoren, Dozenten und Journalisten. Sie wiederum starteten wie Jürgen Zimmerer, Axel Dunker, Sabine Schormann (2018- 2022 Generaldirektorin der documenta) oder Jakob Augstein ihre beruflichen Laufbahnen in den neunziger Jahren und um das Jahr 2000, als die blutige Zweite Intifada gegen Israel im Gaza-Streifen und im Westjordanland begann, ein marokkanischer und ein palästinensischer Jugendlicher den Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge verübten und der „Aufstand der Anständigen“ gegen Rechts begann. Seither wurden und werden bis heute wider jede Evidenz sämtliche Attacken und Hassreden gegen Juden und Israelis auf das Konto von Rechtsextremen verbucht. Linke Professoren, Dozenten, Studenten und muslimische Einwanderer kamen als ideologische Stichwortgeber und Täter nicht oder doch nur ausnahmsweise in Betracht. Auch darum gibt es kaum Überlegungen, geschweige denn die Entwicklung wirksamer Gegenstrategien. Man ignorierte, tolerierte oder befürwortete sogar noch den sich als „Israelkritik“ verkleidenden Judenhass.

Ab Mitte der Nullerjahre hatten sich gemeinsam mit den Gender Studies und den Cultural Studies die postkolonialen Studien an deutschen Universitäten zu etablieren begonnen. Mit den Gender-Theorien Judith Butlers, die sie bis zur Jahrtausendwende noch mit akademischen Kontrahentinnen wie Seyla Benhabib diskutiert hatte, setzte sich allmählich ein von jeder Empirie abgelöster, unwissenschaftlich gewordener Diskurs voller Stereotypen, voller Vorurteile, voller Gemeinplätze und Banalitäten durch, der Fakten nicht lediglich aussparte und verzerrte, sondern systematisch leugnete, verdrehte, auf den Kopf stellte und angriff. Das gilt besonders für Butlers Arbeiten zu Israel, die sie um 2004 zu veröffentlichen begann. Ihr Reden, Denken und Schreiben zur Hamas – Stichwort: Hamas und Hisbollah als Teil der globalen Linken -, zum globalen Islam, zur Burka, zur Universalität von Frauen- und Menschenrechten, zum Zionismus, zur Anti-Israel-Boykottbewegung BDS verrieten eine antiwestliche und antiisraelische Radikalisierung, wie sie in Deutschland zuletzt bei den Linksterroristen der RAF zu vernehmen gewesen ist. War die antiimperialistische Tonlage in Butlers „Gender Trouble“ noch verhalten, so schlug er im Umgang mit 9/11 und dem Irak-Krieg von 2003 voll durch und wurde zum bestimmenden ideologischen Sound. Dazu passten politisch-ideologische Uralt-Schinken wie Edward Saids „Orientalismus“ aus den späten 1970er Jahren, die in Deutschland fast niemand las und die, die das aus wissenschaftlichen Gründen taten, wussten mit Saids Propagandamasche wenig anzufangen.

Saids Buch entsprach nie wissenschaftlichen Standards, war eher ein propalästinensisches Pamphlet zugunsten der PLO und ihrer Charta, die den Zionismus als Rassismus, Israel als imperialistischen Vorposten des Westens und als europäisches Kolonialunternehmen abqualifizierte. All das waren Propagandalügen, die Said in Wissenschaftsprosa goss und vom Ägyptenfeldzug Napoleons um 1800 bis in die Middle East Studies an amerikanischen Universitäten erweitert hatte. Saids methodisches Verfahren ist immer das Gleiche: Es wird eine mehr oder minder monströse Tatsachenbehauptung   aufgestellt, die moralischen Abscheu erregen soll, und mit einem Autor, einer Textstelle,  einem Vorgang oder einem Ereignis verknüpft, die bei näherem Hinsehen nicht zueinander passen. Weil Saids Paraphrasen – er zitiert ausgesprochen selten direkt – In der Regel entstellen und verzerren, halten seine Befunde den Tatsachen bei einer Überprüfung so gut wie nie stand und erweisen sich als haltlos.

Leider hat sich Saids Verfahren im akademischen Betrieb in den Kultur- und Sozialwissenschaften mancherorts durchgesetzt und ist von Absolventen dieser Fächer in den Medien-, Kultur- und Politikbetrieb getragen worden. Inzwischen wird er sogar von der offiziellen Regierungspolitik gestützt: Einen Artikel des Journalisten Henryk M. Broder unter dem Titel „Im Mauseloch der Angst“ (2010) paraphrasierten die Verfasser des noch vom damaligen Innenminister Horst Seehofer in Auftrag gegebenen Berichts über  Muslimfeindlichkeit so, als hätte der Autor geschrieben, dass alle Muslime mord- und ehrversessen, ungebildet und gewaltbereit seien (vgl. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/henryk-broder-gewinnt-gegen-bundesinnenministerium-expertenbericht-offline-19496307.html

; https://www.juedische-allgemeine.de/politik/gericht-bundesinnenministerium-darf-textpassage-zu-henryk-m-broder-nicht-veroeffentlichen/; https://www.achgut.com/artikel/broder_siegt_ueber_faeser). Tatsächlich aber hatte Broder die ausgezeichnet dokumentierten gewalttätigen, teils tödlichen und sogar mörderischen Ausschreitungen von Muslimen gegen Salman Rushdies „Satanische Verse“ (1988) und die Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung „Jyllands Posten“ (2005) benannt und mit ihnen die von Organisatoren der Exzesse eingeräumte Tatsache, dass die beteiligten Muslime weder Rushdie und sein Buch kannten noch je auch nur eine der dänischen Karikaturen in Augenschein genommen hatten (zur Wirkungsgeschichte der „Satanischen Verse“ vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_satanischen_Verse; zu den Mohammed-Karikaturen vgl.   https://de.wikipedia.org/wiki/Mohammed-Karikaturen). Meinungsfreiheit ist eines der zentralen Elemente westlicher Verfassungsstaaten und wer sie antastet, wie es das Expertengremium zur Muslimfeindlichkeit in seinem Bericht tut, gehört zu den Feinden der liberalen Demokratie. Wie nun soll man die verzerrende und entstellende Tatsachenbehauptung über Broders Artikel nennen? Fehldeutung?  Falschinformation? Gar Desinformation? Wie auch immer, der Bericht zur Muslimfeindlichkeit erhielt durch das Vorwort der Bundesinnenministerin Nancy Faeser und die Veröffentlichung auf der offiziellen website des Bundesinnenministeriums ein amtliches Siegel.

Das macht das Vorgehen der Ministerin seit ihrem Amtsantritt, als sie die deutsche Bevölkerung auf den Kampf ausschließlich gegen Rechtsextremismus und Islamfeindlichkeit einschwor,  so gefährlich. Faeser beschweigt Islamismus und Linksextremismus und lässt die Gefahren, die von ihnen für die liberale Demokratie, für die Bürger dieses Landes, allen voran für liberale Muslime und Juden ausgehen, unter den Tisch fallen (zu Judenhass und Frauenfeindlichkeit unter muslimischen Migranten vgl. aktuell Güner Yasemin Balci https://www.sueddeutsche.de/kultur/juden-hass-berlin-neukoelln-kann-ich-noch-auf-die-strasse-1.6345674). Und während die Ministerin auf den linken und muslimischen Judenhass selten angemessen reagiert, beschwört sie immer aufs Neue die rechte Gefahr. Niemand vergisst den NSU, den rechtsextremen Mord an Walter Lübcke 2019 und die rechtsextremen Terroranschläge auf die Hallenser Synagoge 2019 – ein abscheulicher antisemitischer  Anschlag- und auf die beiden Bars in der Hanauer Innenstadt 2020. Das schließt aber den erweiterten Fokus auf linke und muslimische Demokratie- und Judenfeinde nicht aus. Erstens werden Synagogen seit dem Brandanschlag in Düsseldorf im Jahr 2000 überwiegend von jungen Arabern und Türken angegriffen. Zweitens ist der NSU ein Ausläufer und unzweideutiger Ausdruck der Baseballschlägerjahre in Ostdeutschland. Im Unterschied dazu ist die jeweilige Ideologisierung beider Rechtsterroristen so eng mit ihrer Persönlichkeitsentwicklung verknüpft gewesen, dass sie dafür kein soziales rechtsextremes Umfeld  brauchten. Beim Hallenser Täter spielten die judenfeindlichen Ansichten der in der DDR sozialisierten Mutter eine Rolle, beim Hanauer Täter eine Psychose. Drittens kommt Faesers einseitige Fixierung auf biodeutschen Rechtsextremismus – die Grauen Wölfe, die hierzulande Armenier, Aramäer, Jesiden und türkischstämmige Frauenrechtlerinnen angreifen,   interessieren sie nicht – und ihre Abwehr gegenüber einer Beschäftigung mit dem politischen Islam und seiner Gefahr für liberale Muslime und Juden in vielem, was sie tut, lässt und sagt zum Ausdruck. Der völlig verzerrte Blick der Bundesinnenministerin auf Geschichte und Gegenwart zeigte sich zuletzt in ihrem Vergleich der Wannseekonferenz mit einem Treffen einer Handvoll randständiger Rechtsextremisten in Potsdam. Ein Mensch, der alle Sinne beisammen hat, kann einen solchen Vergleich nur aus zwei Gründen ziehen: Entweder weiß dieser Mensch nicht so genau, was die Berliner Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942  gewesen ist oder aber er tut dies – Gott bewahre – ohne Rücksicht auf Verluste aus ideologischen Gründen um zu manipulieren.

Judenhass kommt schon seit seiner Entstehung aus dem gebildeten Milieu und auch in Deutschland aus der Mitte der Gesellschaft. Weder ausschließlich von den Rändern, an denen er sich nur radikalisiert, noch ist er lediglich eingewandert, denn das ist er nur AUCH. Heute wie seit über 200 Jahren sind Universitäten eine seiner fruchtbarsten Brut- und Umschlagplätze. Eine der ersten Gegenstrategien sollte die Verpflichtung der Wissenschaft auf Fakten und Empirie sein. Die zweite Gegenstrategie sollte im Mut bestehen, offenkundig Falsches, offenkundigen Unsinn und offenkundige ideologische Manipulationen – ob in Seminaren, Vorlesungen, Colloquien, „Experten“gremien oder Journalisteninterviews – als solche zu bezeichnen. Und die dritte darin, sich an Schulen und Universitäten umfassend mit israelbezogenem Judenhass zu beschäftigen, um ihn leichter zu durchschauen und zurückzuweisen.